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Comicoskop-Ausgabe Nr. 6 / Januar - Februar 2016 / 3. Jahrgang / Gegründet 2014

Westdeutsche Comic-Legende Hansrudi Wäscher ist tot: Pionier der Abenteuer-Piccolos und -Hefte am laufenden Band

Schöpfer von "Sigurd", "Nick, "Tibor" & Co. starb im Alter von 87 Jahren / Prägte die Comic-Heftlektüre einer ganzen Generation in den 1950er und 1960er Jahren / Kein großer Zeichner, aber ein großes Talent als Bildgeschichtenerzähler/ Produktivster Zeichner von Abenteuer-Comics in der Nachkriegszeit / Durch italienische Fumetti sozialisiert

Von COMICOSKOP-Redakteur Martin Frenzel

Westdeutscher Comic-Pionier Hansrudi Wäscher und heimliche König der Massenproduktion: Starb im Alter von 87 Jahren - und prägte von 1953 an eine ganze Generation mit seiner Abenteuercomic-Heften, die er am láufenden Band produzierte / Foto: (c) Hartmut Becker / becker illustrators!

Ein Pionier der westdeutschen Abenteuercomic-Produktion ist tot: Am Donnerstag, 7. Januar 2016, starb Hansrudi Wäscher in seiner Wahlheimat Freiburg im Breisgau im Alter von 87 Jahren. Von 1953 an bescherte Wäscher, dessen stereotyp gehaltener, stark klischeehafter Zeichenstil nicht unumstritten war, dem Lehning Verlag dank seines Erzähltalents mit seinen Abenteuercomic-Helden wie Sigurd, Falk oder Nick der Weltraumfahrer Millionenauflagen. Er schuf damit im zerbombten Nachkriegsdeutschland eine erste Jugendkultur, wie es in einer Pressemitteilung heißt. Wäschers Abenteuerhelden sind bis heute unvergessen geblieben und inzwischen sogar als iPhone-App verfügbar.

Wäschers wohl bekannteste Comic-Serie: Der Rittercomic "Sigurd" (1953) / (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

 Die Idee war ebenso simpel wie genial, stammte ursprünglich aus dem Fumetti-Paradies Italien: Schmale Schwarzweiß-Heftchen mit spannenden Bildergeschichten im Streifenformat. Noch dazu erschwinglich, für schmales Taschengeld. 1952 entdeckte der Hannoveraner Verleger Walter Lehning die "Piccolos" genannten Schmalspurcomics, reüssierte auch auf dem deutschen Pressemarkt mit dem aus Italien importierten Dschungelheld Akim.

 Doch schon im Oktober 1953 gesellte sich zu den italienischen Serien mit dem Ritter-Abenteuercomic "Sigurd" eine erste in Deutschland erschaffene Piccoloserie. Markenzeichen: Die gelbe Haartolle mit der schwarzen Strähne mittendrin. Ihr Schöpfer hieß Hansrudi Wäscher, der am 5. April 1928 im schweizerischen St. Gallen das Licht der Welt sah, seine Kindheit später auch in Lugano in der italienischen Schweiz verbrachte, wo er die ganze Welt der italienischen Comics für sich entdeckte.

Sigurd (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

Sigurd (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

Sigurd (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

In Lugano entdeckt er die Comic-Hefte, die aus Italien in die Schweiz gelangen – so etwas hat er zuvor noch nicht gesehen. Die „fumetti“ werden für ihn zur Zuflucht und helfen ihm dabei, Italienisch zu lernen: „Nach einem halben Jahr habe ich meinen ersten Aufsatz geschrieben und hatte überhaupt keine Probleme.“ Doch dann erkrankt er an Morbus Perthes, verbringt fast zwei Jahre im Krankenhaus, eingegipst, sechs Monate lang kann er sich nicht einmal aufrichten. Er flüchtet sich in Abenteuergeschichten, die er auf Italienisch liest, am liebsten Emilio Salgaris Sandokan-Romane.

„Meine Eltern konnten gar nicht genügend Bücher anschleppen. Ich hatte keinerlei Einfluss auf die Dinge und rutschte wahrscheinlich auch deshalb in die Fantasiegeschichten hinein.“

Sein Vater war Deutscher, Besitzer eines Friseurladens -  und wird zunehmend angefeindet: Eines Nachts schmiert jemand „Fachgeschäft für Hitler, Göring und Goebbels“ auf das Schaufenster seines Salons. 1940 - im zweiten Jahr des Zweiten Weltkriegs - siedelt die Familie deshalb um nach Hannover, zur Schwester seiner Mutter. „Das war schrecklich“, so Wäscher später in der Rückschau. „Das Erste war, dass wir an der Grenze gefilzt wurden, total. An meinem ersten Schultag bekam ich gleich die Jacke voll, da ich nur Schwyzerdütsch sprach und man mich für einen Italiener hielt.“ Und es gibt in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht jene Art von  Abenteuer-Comics, die er doch so liebt. Der Vater, der „nie hatte eine Waffe anrühren wollen“, wird bald in die Wehrmacht des NS-Regimes eingezogen und fällt 1945 bei der Verteidigung Berlins gegen die anrückende Rote Armee.

Wäscher ist gerade siebzehn geworden, als der Krieg zu Ende ist. Er hat inzwischen seine Lehre als „Gebrauchswerber“ abgeschlossen und besucht von 1947 bis 1950 sieben Semester lang die Werkkunstschule. In dieser Zeit zeichnete er für die Stadt Hannover ein Heftchen zur Verkehrserziehung mit dem Titel „Der Herr Boll“.

Erste Aufträge findet er als Plakatmaler für drei Innenstadtkinos in Hannover und als Illustrator für die Wochenzeitung Heim und Welt, wo er die Redakteurin Helga Bertelmann kennenlernte, die er 1954 heiratete.

Doch es gehen ihm die Comics nicht aus dem Kopf, und schließlich beginnt er mit eigenen Entwürfen. Ende 1951 ist zum ersten Mal die Micky Maus erschienen, mit einem Preis von 75 Pfennig für viele Kinder unerschwinglich, doch sonst gibt es weit und breit so gut wie nichts. Eine Serie, die Wäscher plant, fußt auf der Nibelungensage und soll Sigurd heißen. Da entdeckt er die Piccolos des Lehning Verlags an den Kiosken.

 Auch Hansrudi Wäscher hatte wie Verleger Lehning die Comic-Hefte und -piccolos in Italien entdeckt und wollte etwas Ähnliches in Deutschland versuchen. Doch nun war ihm Lehning zuvorgekommen. Wutentbrannt stürmte er mit den eigenen Entwürfen in den Verlag. Lehning erkannte das Talent des jungen Zeichners, und da ihm noch eine Ritterserie fehlte, beauftragte er kurzerhand Wäscher damit. Der soll schon in der nächsten Woche ein Heft liefern, und so hing im Oktober 1953 das erste Sigurd-Piccolo an den Kiosken. Auf dem Umschlag prangt der Titel „Die Falle“ und der Preis: 20 Pfennig.

 

Tibor - Zeitungsausschnitt Lausitzer Rundschau / (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

Die Zusammenarbeit mit Wäscher soll sich für Walter Lehning als Glücksgriff erweisen. Nicht nur, dass sich die Sigurd-Piccolos fast aus dem Stand heraus Woche für Woche weit über eine halbe Million Mal verkaufen, er kann den Zeichner zudem überall dort einsetzen, wo er ihn braucht. Als sich Lehning 1955 mit seinem italienischen Lizenzgeber überwirft und kein Material für weitere Akim-Hefte mehr bekommt, übernimmt Wäscher kurzerhand die Abenteuer des Dschungelhelden und zeichnet während der nächsten vier Jahre fast 200 Piccolos. Selbstredend ruft die Erfolgsserie Sigurd auch regelmäßig die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in der restaurativen Adenauer-Ära auf den Plan.

 Als die Sowjets Ende 1957 den Sputnik ins All schießen, reagiert Lehning sofort und will „etwas Utopisches“ machen. „Wie üblich hielt ich mich an einem Montag im Verlag auf, um mein Wochenpensum abzuliefern“, so Wäscher später. „Herr Lehning stürzte gleich auf mich zu mit den Worten: ‚Haben Sie das von dem Sputnik gehört?‘ Wir müssen unbedingt eine Weltraumserie machen! Bringen Sie nächsten Montag das erste Heft mit!‘ … Laut überlegte ich: ‚Sputnik, Sputnik? … NICK!‘“ Und so liegt im Januar 1958 an den Kiosken das erste Piccolo-Heft von Nick der Weltraumfahrer aus. Der erste Titel der Serie Nick der Weltraumfahrer konnte nicht besser gewählt sein: „Sputnik explodiert!“ "Nick"geriet in der Folge zu einer spannend erzählten, jugendgerechten Science-Fiction-Heftserie made in Germany.

 Und so geht es Schlag auf Schlag: Als Lehning nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen Akim endgültig einstellen muss, schafft Wäscher von einer Woche auf die nächste mit Tibor 1959  einen eigenen Dschungelhelden, sozusagen die deutsche Antwort auf Tarzan. 1960 folgt mit Falk eine zweite Ritterserie, zu seinen weiteren Schöpfungen zählen Bob und Ben und Roy Stark (letztere Serie erscheint sogar in Frankreich).

Zeitweise zeichnet Wäscher bis zu vier wöchentlich erscheinende Comic-Hefte gleichzeitig und zusätzlich auch noch Titelbilder für nicht von ihm stammende Reihen, die der Verlag in Lizenz aus dem Ausland übernommen hat, sowie für die ständigen Neuauflagen seiner eigenen. Sammler werden später nachzählen, dass Wäscher allein für Lehning weit über 22.000 Comic-Seiten und stolze fast 3.500 Titelbilder geschaffen hat.

Nick - der Weltraumfahrer - Wäschers SF-Comic nach de m  Sputnikschock...   (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

Doch in den 1960er Jahren  verändert sich der Comic-Markt tiefgreifend: Neue Verlage setzen sich durch.

So findet auch Wäscher die nächsten Jahre nach dem jähen Lehning-Ende Unterschlupf beim Bastei Verlag in Bergisch-Gladbach: Dort entsteht von 1969 bis 1984 die gelungene Westerncomic-Serie  "Buffalo Bill" aus Wäschers Feder - unverkennbar in dem ihm eigenen, etwas stereotyp-hölzern wirkenden Zeichenstrich, aber ohne Zweifel gut erzählte Unterhaltung. Auch für den Bastei-Dauerbrenner "Gespenster Geschichten" produziert Wäscher Geschichten.

Dann neigt sich die Ära der großen Abenteuer-Hefte dem Ende zu.

 1976/77 ist es der Darmstädter Melzer-Verlag, der sowohl Sigurd als auch den SF-Comic Nick der Weltraumfahrer nachdruckt. So gab Melzer 1976 zwanzig Hefte des Lehning-Großbands neu heraus (Nr. 125-144) heraus. Auch Tibor erschien bei Melzer als Comic Taschenbuch.

Tibor Cover des Melzer Verlags / (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

Doch ohne dass Wäscher es selbst bemerkt hätte, ist nach dem Ende des Lehning Verlags eine rasch wachsende Sammlerszene entstanden. Von 1977 an erscheinen erste Nachdrucke seiner populären Helden in kleiner Auflage als Liebhaberausgaben. Der Comic-Antiquar Norbert Hethke in Schönau im Odenwald nimmt Wäscher unter seine Fittiche, sorgte so für eine regelrechte Hansrudi Wäscher-Renaissance: Nach mehreren Neuauflagen von Lehning-Serien entwirft Wäscher für dessen Fan- und Fachmagazin "Die Sprechblase" 1982 das neue Fantasy-Abenteuer "Fenrir".

Bald darauf folgen auch weitere Episoden seiner einstigen Lehning-Recken Sigurd, Nick oder Tibor. All diese Serien werden bis heute von Künstlern aus der ganzen Welt weitergeführt.

 1993 beginnt Wäscher, inzwischen 65 Jahre alt, für Hethke sogar eine neue Sigurd-Piccolo-Serie ganz im Stil seiner alten Lehning-Hefte. Als er die nach zehn Jahren beenden, Sigurd sterben lassen will, widerspricht sein Verleger, lässt von dem argentinischen Zeichner Daniel Müller weiterzeichnen. Mittlerweile hat die Reihe der neuen Sigurd-Piccolos die des Lehning Verlags, mit der 1953 alles begonnen hatte, an Umfang übertrumpft.

Buffalo Bill (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators! sowie Bastei Verlag

 Hansrudi Wäscher, der seit 2003 in Freiburg im Breisgau lebte,  galt vor allem als ein fulminanter, überbordender Erzähler, der sich in jedem Genre sofort zu Hause fühlte - sicherlich kein großer Zeichner.

In die Abenteuer seiner Helden zog er seine Leser förmlich hinein und ließ sie am Ende eines jeden Heftes mit geschickten Cliffhangern der Fortsetzung entgegenfiebern: „Verpasst auf keinen Fall das nächste Heft! Es heißt …“ In der Realzeit der Leser erstreckten sich seine Geschichten zuweilen über bis zu einem Jahr. Unvergessen sind auch seine dramatisch arrangierten Titelbilder, die die Höhepunkte der Hefte zu Szenen von mythischer Kraft verdichten und den Lehning Verlag in dessen Spitzenzeit zum Marktführer unter den deutschen Comic-Verlagen werden ließen.

Falk (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

Fenrir in der Norbert Hethke-Ausgabe  (c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

2008 erhielt Hansrudi Wäscher auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen für seine "Pionierleistung für den deutschen Comic" den Max und Moritz-Preis für sein Lebenswerk. 2009 kürte man sein Lebenswerk beim Münchner Comic-Festival mit dem PENG!-Preis.

Unlängst erwarb die Constantin Film die Filmrechte an Sigurd, Falk und Tibor. Man darf gespannt sein.

Doch die Umsetzung seiner Helden für die Kino-Leinwand wird Hansrudi Wäscher jetzt nicht mehr erleben.

Sein Credo formulierte Hansrudi Wäscher einmal so: "Solange ich Papier und Stift in der Hand halte, ist die Welt für mich in Ordnung."

(c) Hansrudi Wäscher & Hartmut Becker / becker illustrators!

Weitere Informationen: www.hansrudiwaescher.de               Literaturtipp: Andreas C. Knigge: Allmächtiger! Hansrudi Wäscher – Pionier der deutschen Comics, Edition Comics etc., Hamburg 2011

(c) Hartmut Becker / Comics etc. / becker illustrators!

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