COMICOSKOP - Unabhängiges E-Fachmagazin für Comic-Kultur & Bildgeschichte

Herausgegeben und gegründet von Martin Frenzel                      Online seit Dezember 2014 / Chefredakteur: Martin Frenzel

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Comicoskop-Ausgabe Nr. 11 / August 2020 bis Dezember 2020 / 7. Jahrgang / Gegründet April 2014 - online seit Dezember 2014

Eine Graphic Novel vom Feinsten: Uli Oesterle präsentiert sein Meiterstück "Vatermilch" live

...im Literaturhaus München / Eine Comic-Autobiografie über den eigenen Vater der besonderen Art

Ein Live-Bericht von unserem COMICOSKOP-Redakteur und München-Reporter Hanspeter Reiter

Eine Graphic Novel vom Feinsten: So kommt Comic-Literatur als state-of-the-art daher, sich deutlich von arg farblich explodierenden, extrem „dynamischen“ Comics distanzierend, siehe: (US-)Superhelden & Co. Und das Thema ist ja auch ein durchaus literarisches: Eine (Auto-)Biografie der besonderen Art…

Der deutsche Comic-Zeichner und -Erzähler Uli Oesterle ("Hector Umbra") war ins Literaturhaus München gekommen, um sein Meisterstück Vatermilch 1 zu präsentieren: Unter Corona-Bedingungen, versteht sich, aber ein gelungener Abend. COMICOSKOP-Redakteur und München-Reporter dieses Online-Magazins, Hanspeter Reiter, war live für uns dabei.

Im Blickpunkt der Oesterle'schen Comic-Erzählung: Die Irrfahrten des Rufus Himmelstoss. Was also gibt ein Vater seinem Kind mit, darf man mit Blick auf den originellen Titel fragen, ganz analog zur Muttermilch?! Oder was eben fehlt dem Kind, weil der Vater zeitlebends abwesend war....?

Wie das Münchner Literaturhaus-Publikum u.a. erfährt, war der Anlass ein trauriger, nämlich der Tod des Vaters 2010. Diese Comic-Erzählung ist denn auchein „Wiedersehen“ nach 30 Jahren Leere. Was naturgemäß das Erinnern triggert…

Vor diesem Talk mit dem Künstler und Hector Umbra-Schöpfer Uli Oesterle (Jg. 1966), moderiert von Talk-Master und (wie sich zeigte) ausgewiesenem Comic-Fan Niels Beintker (vom Bayerischen Rundfunk), begrüßte Tanja Graf die Bühnen-Protagonisten und das Publikum – und führte kurz ein, Ehrensache für die Leiterin des Literaturhauses München und damit „Hausherrin“… Hoch über den Dächern von München, in exzellenter Location, ganz oben im Literaturhaus… Corona zum Trotz...

„Frei von der Leber weg“ plauderte Illustrator und Comic-Zeichner Ulli Oesterle über seinen aufwändigen Zugang zu Leben und Wirken seines Protagonisten, quasi Avatar des eigenen Vaters. So war der Autor selbst obdachlos unterwegs wie auch der (auto)(biografische) Vater, wenn auch nur zeitweise. Dazu nahm der Sohn an einem Kunst-Projekt teil, war immerhin drei Tage nur draußen in München – und zwar immerhin im Spätherbst, bei kaltem (Niesel-)Regen im Freien, kaum geschützt, wie die gezeigten Bilder belegen… Lernte so hautnah, wie es sich anühlt, auf der "Platte" zu leben, als Wohnsitz- und Wurzelloser....

„Aus dem Nähkästchen“ dann der eigentliche Werkstatt-Bericht Oesterles, über das Entstehen der Comic-Erzählung am Tablet, nachdem er vorher 110 Seiten als reines Text-Manuskript bereits komplett fertig geschrieben hatte - konzipiert für sage und schreibe vier Bände = an die 500 Seiten. Es folgten die Scribbles als Storyboard – und schließlich die „Reinzeichnung“, nun fertig umgesetzt als 1. Band.

In dem Leserinen und Leser/Betrachterinnen und Betrachter das Geschehen auf zwei Ebenen verfolgen, mal in den 1970er, mal Anfang der 2000er Jahre, aus der Perspektive Vater-Familie und dem Blickwinkel des Sohns-Illustrators, immer parallel abwechselnd, steigt das Verständnis. So wird sukzessive klar, was der Begriff "Vatermilch“ eigentlich meint; das zeigt der Comic genau, etwa dann, wenn dieser Illustrator mit seinen Freunden einen (?) heben geht statt wie versprochen endlich nachhause zu kommen, zu Frau und Kind… Je Ebene gleich erkennbar durch eine Zusatzfarbe: brombeerig die 1970er, hellblau die 2000er…

Was gleich zur Frage führt: Ist das der neue Trend in der Graphic Novel? Sparsamer Einsatz von Farbe neben Grau-Werten kennzeichnet die moderne Grafische Literatur ja eh, so sie überhaupt über SW hinaus geht. Doch hier hat der Künstler konkret farblich differenziert à la Sattouf: Der Araber von morgen (inzwischen 5 Bände, in D bei Penguin) - dort räumlich, hier zeitlich. Siehe dazu meinen Bericht des Literaturhaus-Events für Comicoskop.

 

Erleben durften die Zuschauer alles in (bewegten wie statischen) Bildern, eingespeist in eine moderne LED-Großleinwand: Etwa einen Film mit Zusammenschnitt ausgewählter Panels plus gesprochenen (Erzähl- und Sprechlasen-)Texten, sehr eindrücklich und nachvollziehbar inszeniert: So geht „Comic-Lesung“...

 Real waren nur 50 Personen im Raum zugelassen, dazu gab es Streaming, realisiert zusammen mit dem Comic-Salon Erlagen CSEdigital – und natürlich vom Hamburger Carlsen Verlag promotet…

Der Künstler Ulli Oesterle signierte danach noch frisch zu kaufende Bücher – und zwar höchst individuell mit Illustration! Anregende Beispiele gezeigt zum Abschluss des Dialogs zum Werkstatt-Bericht … Mit im Boot die Münchener Comic Company mit ihrem Verkaufsstand – dem Werk angemessen wertig!

Ach ja, im Brot-Beruf arbeitet Ulli Oesterle als Illustrator für „Kultur, Film, Werbung, Editorial, Verlagswesen, Ministerien, städtische Einrichtungen und Eigenkunden: Wimmelbilder, Sympathiefiguren, Character Designs, Comics und Graphic-Novels.“ Mehr dazu siehe auf https://www.oesterle-illustration.com/. Der aktuelle Comic bedeute hohen Aufwand, je Seite 1,5 Tage und mehr… (leben kann man in Deutschland davon - leider - nicht)...

Und hier geht´s dorthin: https://www.carlsen.de/hardcover/vatermilch-die-irrfahrten-des-rufus-himmelstoss-vatermilch-1/83033. 

"Vatermilch" - Der Plot einer Comic-Erzählung der besonderen Art: Kunstvoll und elegant, tragisch und doch unterhaltsam

München 1975: Disko, freie Liebe, Kokain- und Champagnerexzesse, das ist die Welt von Rufus Himmelstoss. Das Schwabinger Edelgewächs ist ein egozentrischer Frauenheld, ein Markisen-Vertreter, der konsequent über seine Verhältnisse lebt.

Als er im Suff einen schweren Verkehrsunfall verursacht, bei dem eine junge Mutter und ihre beiden Kinder sterben, geht er im Obdachlosenmilieu auf Tauchstation.

Nach dem großen Erfolg seines »Hector Umbra« (2009) ist er endlich da: Der lang erwartete erste Band von Uli Oesterles großangelegter, autobiografisch geprägter Graphic Novel »Vatermilch. Die Irrfahrten des Rufus Himmelstoss« (schon in der Entstehung ausgezeichnet mit dem Comicbuchpreis der Leibinger-Stiftung).

In innovativen Bildfolgen, mit rasanter Fabulierlust & mit viel künstlerischer Freiheit erzählt Oesterle die Geschichte des eigenen Vaters, kunstvoll und elegant.

Hans Fallada ("Jeder stirbt für sich allein) lässt grüßen: Es ist dies ein Comic über Alkoholismus und Verantwortung, eine Dark Novel im wahesten Sinne des Worts – tragisch und zugleich enorm unterhaltsam. Sound & Lesestimme kommen an diesem gelungenen Abend im Münchner Literaturhaus von Matthias Wieland, Redakteur, Übersetzer, Moderator & genialer Comic-(Vor-)Leser.

 Hanspeter Reiter (HPR)

Wer ist Uli Oesterle?

Uli Oesterle wurde 1966 in Karlsruhe geboren. Nach einer Ausbildung zum Grafiker an der Akademie für Gestaltung in München ist er seit Anfang der 1990er-Jahre als freiberuflicher Illustrator, Grafiker und Comicautor tätig. 1995 gründete er gemeinsam mit Thomas von Kummant, Benjamin von Eckartsberg und anderen die Ateliergemeinschaft »Die Artillerie«. Seit den frühen 1990er Jahren veröffentlichte Uli Oesterle zahlreiche Comics für Magazine wie Strapazin und Men’s Health oder die amerikanische Anthologie The Dark Horse Book of Hauntings. Sein Debütalbum Schläfenlappenphantasien wurde im Jahr 2000 auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen für den »Max und Moritz«-Preis nominiert; für die Einzelveröffentlichung des ersten Kapitels von Hector Umbra erhielt Oesterle 2004 u.a. eine Nominierung beim Comic-Festival im französischen Angoulême und den »ICOM Independent Comic Preis«. Oesterles Arbeiten wurden bisher in fünf Sprachen übertragen. 2016 erhält er den mit 15.000 EUR dotierten Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung für sein Projekt »Vatermilch«, das bei Carlsen erscheinen wird. Uli Oesterle lebt und arbeitet in München.

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