COMICOSKOP-Interview mit Paul Derouet (von 2014) - zum 75. Geburtstag 2022

Ein Franzose im Comic-Entwicklungsland Deutschland: "Es gab in Deutschland keine Chance, den Beruf des Comic-Zeichners zu erlernen, deswegen fingen wir an."

Der Erfinder und Nestor des Deutsch-Französischen Comic-Zeichner-Seminar feiert 2022 seinen 75. Geburtstag / Zeichner-Talentschmiede besteht seit 1986, seit 36 Jahren / Einzige mobile Comic-Akademie in Deutschland / Was 1986 begann, ist heute - dank Paul Derouet - eine Erfolgsstory / 2018 ehrte in der Erlanger Comic-Salon für sein Lebenswerk (auch als Berater und Kurator des Festivals)

Paul Derouet, geboren1947 in Mazagan (heute El Jadida) Marokko, damals eine französische Kolonie. Später Studium der Politikwissenschaft an der Universität Bordeaux. Als 68er Teilnahme an den linken Studentenprotesten. Eine Tramperreise nach Jugoslawien (Zagreb) und Istanbul verschlägt ihn nach Berlin. Danach, wieder in Frankreich, war Derouet acht Jahre lang in Nimes als Sonderschullehrer tätig, ehe er 1980 wieder nach Deutschland zurückkehrte, seiner Wahlheimat. Seit 1986 findet das Deutsch-Französische Comiczeichner-Seminar in Erlangen statt. Veranstalter sind die Zeichner-Agentur Contours und das Kulturamt der Stadt Erlangen. Geleitet wird das Seminar von Paul Derouet, dem Inhaber der Agentur Contours. Berater und Kurator von Ausstellungen beim Erlanger Comic-Salon im Auftrag des Kulturprojektbüros der Stadt Erlangen. 2018 erhielt er zu Recht den Erlanger Max-und-Moritz-Preis für sein Lebenswerk. Jetzt feiert Paul  Derouet, der wieder in Südfrankreich lebt, 2022 seinen 75. Geburtstag. Grund genug, ein immer noch aktuelles COMICOSKOP-Interview erneut zu veröffentlichen. Bonne anniversaire, cher Paul!

Spezialpreis der Jury: Paul DerouetFlix überreicht das von ihm gestaltete Wein-Paket.Copyright: Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Georg Pöhlein, 2018

Comicoskop: Lieber Paul, Du gehörst, wenn man so will, zu den Urgesteinen des Comic-Salons, zu denjenigen, die von Anfang an dabei waren… Kannst Du schildern, wie Du als gebürtiger Franzose von Frankreich nach Deutschland kamst und dann zum engen Mitarbeiter des Erlanger Kulturamts wurdest….? Du warst ja irgendwann zusammen mit Hartmut Becker und Andreas C. Knigge bei der legendären Fachzeitschrift „Comixene“ dabei, hast heute eine eigene Zeichner-Agentur Contours, erst in Hamburg, seit wann in Vaihingen/Enz?

Paul Derouet: Lieber Martin, gehörst du nicht inzwischen auch zu den alten Hasen, die man seit Jahrzehnten in Erlangen trifft...? In Vaihingen/Enz wohne ich seit fast zwei Jahren, genauer gesagt in Horrheim, ein Seelen-Dorf mit 800 Einwohnern. Davor war ich 26 Jahre in Hamburg. Also eine kleine Änderung... Ich kam 1980 aus einigen Gründen von der südfranzösischen Nîmes nach Deutschland: aus Liebe, wie oft in solchen Fällen, aber sicher auch wegen meiner wachsenden Müdigkeit über meinen damaligen Beruf als Sonderschullehrer. Sicher auch, weil ich mit der deutschen Sprache einigermaßen klar kam (ich hatte 1969-71 schon fast zwei Jahre in Berlin verbracht), und bestimmt, weil ich einfach mal etwas Neues erleben wollte, man lebt ja nur einmal. Der Grund war nicht, dass das Wetter in Hannover viel schöner war als in Südfrankreich... Kurz vor meiner Migration hatte ich Hartmut Becker kennengelernt, der mir die Büros von der Edition Becker und Knigge und von „Comixene“ gezeigt hatte. Er und Andreas Knigge fanden vermutlich gut und praktisch, in einer Zeit, als die meisten Comics aus Frankreich oder Belgien kamen, einen Franzosen dabei zu haben. Ich war überhaupt kein Comic-Kenner, war nur ein gelegentlicher Leser, wie damals schon viele Franzosen. Die damalige deutsche Comic-Landschaft war eine von wenigen Pionieren bevölkerte Prärie, wo alle sich kannten und versuchten, etwas aufzubauen. Das waren auch die Anfänge des kleinen Vereins ICOM (des Interessenverbands Comic), der vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr von 1981 an in Erlangen seine Treffen organisierte. Im Jahr 1983, wenn ich mich richtig erinnere, saßen irgendwann fünf oder sechs Leute (darunter Hartmut Becker, Andreas Knigge, Achim Schnurrer, ich...) im Büro von Karl Manfred Fischer, dem damaligen Leiter vom Kulturamt Erlangen, die beschlossen, etwas wie Lucca in Italien oder Angoulême in Frankreich zu versuchen. So fand 1984 der erste, noch sehr bescheidene Comic-Salon Erlangen statt. Ich hatte dann immer mit dem Salon zu tun, half bei Ausstellungen und mit meinen Kontakten. Seit Bodo Birk die Leitung des Salons 2004 übernommen hat, also seit 10 Jahren, habe ich bei der Organisation eine etwas „offiziellere“ Funktion als Berater und Kurator mehrerer Ausstellungen…

Spezialpreis der Jury: Paul DerouetCopyright: Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Georg Pöhlein, 2018

COMICOSKOP: Seit 28 Jahren organisierst Du ja das inzwischen legendäre Deutsch-Französische Comiczeichner-Seminar, seit 1986. Und zwar jährlich, nicht alle zwei Jahre wie der Salon. Damit ist das Seminar heute eins der ältesten im deutschsprachigen Comicbereich. Was war der Auslöser für diese Idee, was waren damals Deine Ziele?

Paul Derouet: Wie schon gesagt, war alles damals noch alles sehr klein und Karl Manfred Fischer hatte alle (die Verleger, die Zeichner, die Agenturen...) gebeten, etwas ganz Besonderes zu leisten, um das Ganze noch größer aufzuziehen. Ein paar Ausstellungen wurden organisiert, einige Verlage luden den einen oder anderen bekannten ausländischen Künstler ein. Hartmut Becker und ich hatten 1983 gerade die Zeichneragentur Becker-Derouet gegründet und wir fragten uns, welche Leistung wir wohl in Erlangen bringen könnten. Es war eine Zeit, wo ich jeden Tag Post von hoffnungsvollen jungen deutschsprachigen Zeichnern bekam: Ich hatte bei zwei bekannten französischen Verlagen (Glénat und Albin Michel) den Hamburger Matthias Schultheiss unter Vertrag gebracht, kurz darauf den Österreicher Chris Scheuer (bei Dargaud), jeder hoffte, der Nächste zu sein. Bis auf die bereits erwähnten und einige andere Zeichner war das Niveau nicht sehr professionell und es war logisch: Es gab in Deutschland keine Möglichkeit, diesen Beruf zu lernen, die Kunsthochschulen wollten von Comics nichts hören, alle waren Autodidakten. So kamen Hartmut und ich auf die Idee, für Erlangen 1986 einen Workshop zu organisieren. Diese Idee wurde vom Französischen Kulturinstitut unterstützt, das eine Subvention holte. Und komisch, dieses eigentlich als einmalige Veranstaltung gedachte Comic-Seminar wiederholte sich ein Jahr später und hörte nicht mehr auf… Das diesjährige ist also nun schon das 29. Einmalig ist das schon…

COMICOSKOP: Kannst Du bitte schildern, welche professionellen Zeichnerinnen und Zeichner die Eleven dieser Comic-Zeichnerakademie der besonderen Art in den letzten fast drei Jahrzehnten unterrichtet haben? Da waren ja teilweise illustre, bekannte Namen dabei… Ich erinnere mich an Annie Goetzinger, Gerald Gorridge…

 

Paul Derouet: Zwei hast du genannt, dabei waren auch Serge Letendre, Jean-Claude Denis, und Frédéric Bézian, außerdem Max Cabanes, Martin tom Dieck und Baru, des weiteren Isabel Kreitz, Ulf K. und Riff Reb’s, Markus Huber, Uli Oesterle, MAX... und einige andere mehr.

 

Spezialpreis der Jury: Paul DerouetCopyright: Internationaler Comic-Salon Erlangen – Foto: Erich Malter, 2018

Comicoskop: Aus dem Dt.-Frz. Zeichnerseminar sind auch einige heute namhafte Comic-Zeichnerinnen und –zeichner hervorgegangen, wie Isabel Kreitz, Ulli Oesterle oder Ulf K. Wer war noch darunter…?

 

Paul Derouet: Ich werde bestimmt einige wichtige Namen vergessen, spontan fallen mir gerade einige ein: Thomas von Kummant, Benjamin von Eckartsberg, David von Bassewitz, Paul Hoppe, Lukas Jüliger...

 

Comicoskop: Wenn ich es recht weiß, hat als Geburtshelfer des Seminars auch der damalige Leiter des Deutsch-Französischen Kulturinstituts in Erlangen eine Schlüsselrolle gespielt?

Paul Derouet: Ja, das erwähnte ich vorher schon. Claude Crouail, der damalige Leiter, engagierte sich sofort für diese neue Idee und bekam aus Frankreich eine Subvention. Und er war es auch, der mir am Ende des Seminars vorschlug, ein Jahr später das Experiment zu wiederholen, obwohl der Comic-Salon erst zwei Jahre später stattfinden sollte. So ist es geblieben, das Seminar findet jedes Jahr statt, während der Salon eine Biennale ist.

Comicoskop: Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatte das Seminar seit 1986? Wie viele Lehrerinnen und Lehrer?

Paul Derouet: Ich weiß es nicht genau, zumal die Dozenten oft zwei- oder dreimal mitmachten und nicht wenige Teilnehmer drei, fünf oder mehrmals dabei waren. Sagen wir etwa 20 Dozenten und vielleicht 400 Teilnehmer.

 

Comicoskop: Das ist ja eine stolze, beachtliche Zahl! Wie beurteilst Du die Bilanz des Internationalen Comic-Salons nach 30 Jahren heute – auch im Vergleich mit dem Cannes der Comics, dem Festival International de la Bande Dessinée in Angoulême? Haben der Salon im Allgemeinen und das Zeichnerseminar etwas Positives bewirkt?

 

Paul Derouet: Wenn man die Größe des deutschen Comic-Marktes betrachtet, die mit der des französischen schwer vergleichbar ist, ist der Erlanger Salon ein sehr schöner Erfolg. Es ist ein sehr schöner Salon, der im Laufe der Jahre immer besser und professioneller wurde. Erlangen zählt zu den fünf oder sechs wichtigsten europäischen Comic-Festivals, ist für die Qualität seiner Ausstellungen und seines kulturellen Niveaus anerkannt. Der Salon hat ganz sicher bei der positiven Entwicklung der deutschen Comic-Welt eine entscheidende Rolle gespielt…

Comicoskop: Wie viele Bewerberinnen und Bewerber gab es in diesem Jubiläumsjahr des Salons, wie viele wurden angenommen, wer entscheidet darüber? Wie lange dauert ein Seminar?

 

Paul Derouet: In den ersten Jahren waren sehr viele Bewerber (fast jeder, der einen Obelix nachzeichnen konnte, bewarb sich), viel mehr als heute, aber die Situation hat sich geändert: die Leute wissen, dass ein gewisses zeichnerisches Niveau verlangt wird. Ich habe jedes Mal ungefähr so viele Bewerber wie Plätze, es macht die Auswahl leichter.

 

Comicoskop: Wer trägt die Kosten des Seminars? Was kostet die Seminarteilnahme?

 

Paul Derouet: Das Seminar wird vom Erlanger Kulturprojektbüro unterstützt und bekommt eine Subvention der Erlanger Kulturförderung. Um über die Teilnahme usw. zu erfahren, sollte man am besten unter www.comicseminar.de schauen. Hier möchte ich übrigens betonen, dass diese Internetsite nicht von mir, sondern von ehemaligen und aktuellen Teilnehmern bzw. Dozenten gestaltet wird, aus reiner Begeisterung. Ich bin ihnen dafür sehr dankbar.

Comicoskop: 2007 hast Du ja den ICOM-Sonderpreis für die Lebensleistung bekommen…was bedeutet diese Anerkennung für Dich?

 

Paul Derouet: Ehrlich gesagt, ich hatte nie gedacht, dass ich irgendwann mal einen Preis bekommen würde, wofür auch: ich bin weder Autor noch Zeichner. Ich war also total überrascht. Aber ich werde die schöne Reaktion des Publikums (es waren eigentlich alle Kollegen aus der Comic-Szene) nie vergessen, als ich in München auf die Bühne musste. Ich halte grundsätzlich wenig von Preisen, aber es war für mich etwas Besonderes, etwas wie die Anerkennung, die meine Familie mir schenkte.

Comicoskop: 2016 feiert das Seminar, diese Comic-Schule der anderen Art, 30jähriges. Gibt es dafür schon Pläne?

Paul Derouet: Nein, ich bin gerade mit dem 29. Seminar beschäftigt. Ich werde mich bestimmt fragen, ob ich nach 30 Jahren nicht irgendwann aufhören sollte, aber das fragte ich mich schon beim 20. und beim 25. Seminar... Mal sehen, vielleicht fragst du mich wieder in 20 Jahren vor dem 50. Seminar, wenn wir beide auf dem Rollstuhl sitzen! Übrigens, dieses 29. Seminar ist schon ein bisschen besonders, etwas internationaler als sonst: wir werden drei Gastteilnehmer haben, zwei aus Rennes (Frankreich), der Partnerstadt von Erlangen, und einen aus Nigeria, mit Unterstützung vom Goethe-Institut in Lagos. Aus diesem Grund wird es, anstatt zwei, drei Dozenten geben: Barbara Yelin, Mawil und Lukas Jüliger.

 

Comicoskop: Lieber Paul, vielen Dank für das Gespräch.

 

Paul Derouet: Dafür danke ich Dir auch.

Das Comicoskop-Gespräch mit Paul Derouet führte Comicoskop-Redakteur Martin Frenzel, Juni 2014. (c) Comicoskop/Martin Frenzel 2014. Alle Rechte vorbehalten.

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