COMICOSKOP - Das deutsche E-Fachmagazin für Comic-Kultur, Cartoon, Manga & Bildgeschichte - unabhängig, innovativ und weltoffen

Herausgegeben und gegründet von Martin Frenzel                      Online seit Dezember 2014

Comicoskop-Rubrik: Deutschsprachige Cartoons

COMICOSKOP-Dossier: Die wunderbare Welt des Loriot - Teil 1

Loriot bei der Arbeit, der den (West-)Deutschen das Lachen (wieder) beibrachte / Foto: (c) Diogenes Verlag

Loriot und die Zeichenkunst der Ironie

Überragender Vertreter der visuellen Komik (1923 - 2011) und Vater der Comic-Serie "Reinhold das Nashorn" für den "STERN"

Von unserem COMICOSKOP-Mitarbeiter Prof. Dr. Dietrich Grünewald

Deutschlands Großmeister des gezeichneten Humors: Loriot bewegte sich - wie er es selber einmal formulierte - gern zwischen "Menschen und Möpsen"... // Diogenes Presse-Foto: © Isolde Ohlbaum (re) / Li: Cover (c) Loriot & Diogenes Verlag

Loriot, i.e. Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, kurz Vicco von Bülow (1923 – 2011), vielfach ausgezeichnet u.a. mit dem Till-Eulenspiegel-Satire-Preis (2001) und dem Wilhelm-Busch-Preis (2007), hat seinen sicheren Platz unter den zeitlos bekannten Humoristen Deutschlands. Die Namensgeber der o. g. Preise, der Erznarr Till Eulenspiegel und der Meister der Bildgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wilhelm Busch, dürften übereinstimmen, ihn als würdigen Nachfolger zu benennen. Neben seinem Film-, Fernseh- und Zeichentrickschaffen ist Loriot, der nach dem Krieg von 1947 – 1949 an der Landeskunstschule Hamburg Malerei und Grafik studierte, vor allem Zeichner. Nicht zuletzt schuf er eine heute wenig bekannte, in den 1950ern ungemein beliebte Comic-Serie für die Illustrierte "STERN": "Reinhold das Nashorn"...

Ein Großmeister der Ironie: Loriot alias Vicco von Bülow / Foto li Loriot 1971 bei einer Autogrammstunde (c) Flickr: Loriot 1971 Wikipedia Miss-Sophie /   (c) / Foto re (c) Philipp von Ostau 2011 Wikipedia

2016 war er mein täglicher Begleiter, hatte ich doch einen Loriot-Abrisskalender geschenkt bekommen, der auf meinem Schreibtisch stand und mir jeden Tag eine neue witzige Zeichnung Loriots schenkte. Ein Jahr lang Loriot-Zeichnungen! Die und alle anderen weisen ihn als einen überragenden Vertreter der Visuellen Komik aus.

Loriot Tagesabreißkalender 2016. Unterhaching: KV&H 2015 / © Loriot & Diogenes Verlag

Hätte sich wohl in jedem anderen europäischen Land auch Comic-Zeichner genannt: Loriot bei der Arbeit, der den (West-)Deutschen das Lachen (wieder) beibrachte / Foto: (c) Diogenes Verlag

In den 1950er Jahren ungemein populär, heute kaum noch bekannt: Loriots Comic-Serie für den "STERN", die 1953 debütierte; eher erinnert man sich an "Wum & Wendelin" (Cover (c) Loriot/Diogenes Verlag, untere Zeile Bildmitte) und an seine Knollennasen-Figuren (hier Loriots Selbstporträt auf dem Sofa; (c) Loriot/Diogenes Verlag).

Loriot bei der Arbeit / Foto: Lambiek

Loriots Kultcomic-Serie "Reinhold das Nashorn" für den STERN / (c) Loriot & Stern/Gruner + Jahr /  © Loriot & Diogenes Verlag

Unwillkürlich lässt uns diese Zeichnung lachen. Die überbordende Ordensfülle auf der Brust des Offiziers ist so schwer, dass der Uniformstoff sie nicht zu halten vermag. Das Missgeschick weckt unsere Schadensfreude; freilich eine, die man moralisch akzeptiert, kann die Szene doch als versteckt pädagogische Warnung vor Überheblichkeit und Angeberei verstanden werden.

2 A. Paul Weber: Es ist erreicht! / Aus: Friedrich Bohne (Bearbeitung): Der Deutsche in seiner Karikatur. Stuttgart: Bassermann 1963, S.119.

Das greift auch A. Paul Weber in seiner Lithographie auf: der eitel- stolze Ordensträger macht sich (unwillentlich) zum Esel, wie seine langen Ohren ausweisen.

Jean-Maurice Bosc / Aus: Walter Koschatzky (Bearbeitung): Karikatur & Satire. Kat. Kunsthalle Hypostiftung München 1992; S.182.

Auch die Verleihpraxis von Orden, die nicht selten durch Kungelei ermöglicht wird, die guten Kontakte zu verdanken ist (vgl. aktuell die heftige Kritik an der der Verleihung der höchsten hessischen Auszeichnung, der Wilhelm-Leuschner-Medaille, ausgerechnet an Robert Koch), birgt ein weiteres Potential an Kritik. Kritisch-spottend degradiert Bosc Orden als Billigware, die sich jeder aus dem Automaten ziehen kann.

 In Loriots Zeichnung schwingt zudem leichter Spott über den Militarismus mit. Seine eigene Soldatenzeit 1941 - 1945 als Oberleutnant im 2. Weltkrieg charakterisierte er lapidar als „Nebenrolle in einem erfolglosen Stück“ (Möpse & Menschen, 28). So ist auch seine Haltung gegenüber der 1956 gegründeten Bundeswehr eher spöttisch distanziert, wenn er die Kampftruppe im Frühling mit Blümchen geschmückten Helmen zeigt oder – gestaffelt nach Dienstgraden – den Soldaten modische Paradeanzüge verpasst, die eher nach Karnevalsklamauk aussehen. Die Folie solch ironischer Kritik basiert auf unserem allgemeinen Verständnis vom Militär als einer straff organisiert geführten Truppe mit zielgerichtet-praktischer Ausstattung, wehrhaft kernig. Stattdessen zeigt uns Loriot: auch Soldaten sind Menschen.

Loriot, der von 1967 bis 1972 für den Süddeutschen Rundfunk die Fernsehserie Cartoon mit internationalen Cartoons und Zeichentrickfilmen moderierte, dürfte sich im Rahmen der internationalen, aktuellen wie historischen Zeichenkunst zu verorten gewusst haben. Ein Blick auf entsprechende Beziehungen ist somit nicht nur erlaubt, sondern auch erhellend. Vielleicht waren ihm diese Beispiele bekannt:

Abb. 4 Christian Johann Oldendorp, 1795 - aus: Walter Koschatzky (Bearbeitung): Karikatur & Satire. Kat. Kunsthalle Hypostiftung München 1992; S.232.

Schon Christian Johann Oldendorp verspottete im 18. Jh. die Soldaten als peinliche Witzfiguren, die alles andere als stramme Kämpfer vorstellen.

Abb. 5 Carl Spitzweg: Der strickende Vorposten, 1830 - aus: Schweinfurt: Sammlung Georg Schäfer/ Abb 6 Klaus Staeck,1981 - aus: (Postkartenedition Serie A Nr. 130a)

Spitzweg degradierte sie gar zu gemütlich-strickenden Vorposten, was wiederum Klaus Staeck zu seiner satirischen Postkarte gegen die zunehmende Aufrüstung inspirierte.

Vlnr: 7 Adolf Oberländer, 1886 (AO 112) Aus: Hans Ludwig (Hg.): Adolf Oberländer. Die tanzende Dampfmaschine. Berlin: Eulenspiegel 1981, S.112 / Abb. 8 Thomas Theodor Heine, Simplicissimus 1904 /  Abb. 9 Bruno Paul, 1901 (Simplicissimus 40/1901)

Bekanntlich wurde der Militärstand im deutschen Kaiserreich besonders hoch bewertet. Was den satirischen Spott vieler Karikaturisten hervorrief. So findet Adolf Oberländer mit den aufgeblasenen Fröschen eine treffende Metapher für den angeberisch-arroganten Offizier, spricht Thomas Theodor Heine den Leutnantsstand ironisch gar heilig, was die selbstgefällig-eitle Pose vor dem Spiegel, die uns Bruno Paul vorführt, bissig unterstreicht.

Loriot / Aus: Loriots kleiner Ratgeber. München: dtv 1971, S.161. / © Loriot & Diogenes Verlag

Loriot setzt noch eins drauf: nicht vor dem privaten, sondern gewissermaßen im Spiegel der Öffentlichkeit präsentieren sich die Militärs als Model für eine modebewusste Uniform in Vorführpose.

Die Zeichnungen bewirken, dass der Betrachter lacht – kein lautes Herauslachen, eher ein schmunzelndes inneres Lachen, das schelmisch auf zustimmender Einschätzung beruht, wie umgekehrt mancher Militarist, dem der Humor, vor allem der Humor über sich selbst, abgeht, beleidigt schmollen mag. Die Reaktion provoziert der Zeichenstil, der die erfahrbare Wirklichkeit nicht formgetreu abbildet, sondern durch Vereinfachung und selektive Übertreibung karikierend verzerrt, damit aber das Gemeinte zielgerichtet aufzeigt. Das verbindet sich mit dem Inhalt, der natürlich das Kontextwissen des Betrachters einkalkuliert, hier seine – ihm normativ vermittelte - Vorstellung vom würdevollen Wesen des Militärs. Indem dieser Vorstellung nicht entsprochen, sondern sie geradezu konterkariert durchbrochen wird, wird hehres Pathos gestürzt. Dieser Absturz vom Hohen zum Niederen wirkt lächerlich. Und setzt Schadenfreude frei, die sich mit Kritik verbindet. Kritik meint hier nicht den ausgesprochenen Tadel, sondern die uneigentliche Aussage, den Widerspruch zwischen Sein und Schein, sichtbar in der lächerlich wirkenden gezeigten Situation und Pose. Das ist, was wir als Ironie verstehen. „Sie besteht“, wie Rudolf Jahnke 1929 treffend formulierte, „in zwei Momenten, im Verstecken und im indirekten, als Moment ‚uneigentlichen‘ Komischmachens; letzteres hat einen ‚uneigentlichen‘ Objektdurchblick, d.h. nur dessen Bewussthabung zufolge, ‚uneigentlich‘ deshalb, weil der ideale Zuschauer die ganze Situation übersieht und nicht nur das Personenobjekt im Blick hat“. (Kunst und Ironie, 11) Ironie als subtile Kritik wirkt nur, wenn der Rezipient mitdenkend das Vordergründige hinterschaut. „Ironie kann deshalb angesehen werden als das Spiel, zu einem Ziel zu gelangen durch das Andeuten des Gegenteils“, fasst Eleanor Newman Hutchens das Bemühen um eine Definition zusammen (Hutchens 1973, 52). Der Zweck der Ironie, so Friedrich Nietzsche, „ist Demütigung, Beschämung, aber von jener heilsamen Art, welche gute Vorsätze erwachen lässt.“ (Kunst u. Ironie, 13).

Der ironische Zeichner bezweckt also mehr als uns nur zum Lachen zu bringen, ohne dass er jedoch als belehrender Pädagoge von oben herab fungiert. Diese Rolle weist er geschickt dem Betrachter zu, der wertend interpretieren muss.

Abb. 11 Adolf Oberländer, 1884 (Aus: Hans Ludwig (Hg.): Adolf Oberländer. Die tanzende Dampfmaschine. Berlin: Eulenspiegel 1981, S.112)

Bleiben wir beim Bespiel Orden. Schon Adolf Oberländer hat die Ordenssucht 1884 in den Fliegenden Blättern thematisiert - ein sanfter Spott über die Eitelkeit.

Loriot/ Aus: Loriot: Gesammelte Bildergeschichten. Zürich: Diogenes 2008, S.331. © Loriot & Diogenes Verlag

Wird hier ent-deckt, so bei Loriot ver-deckt: diskret verschwindet der sinnbildlich gemeinte peinliche Fleck auf der „weißen Weste“ unter der Schärpe. Auch hier lässt sich eine gewisse pädagogische Intention nicht verleugnen.

Loriot / Aus: Loriot: Möpse & Menschen. Zürich: Diogenes 1983, S.143.

Hier dagegen zerplatzt die gute Absicht und der oft mittransportierte erzieherische Hintergedanken verkehrt sich ins Gegenteil: die Folie ethisch-moralisch korrekten Verhaltens wird selbst zum Gegenstand des ironischen Spiels; das Kind verhält sich nicht, wie es der Vorstellung Erwachsener nach soll.

e. o. plauen (Erich Ohser): Vater und Sohn, 1935 (Aus: (Berliner Illustrirte 25/1935)

e. o. plauen (Erich Ohser): Vater und Sohn, 1936 / (Aus: Berliner Illustrirte 27/1936)

Das gebrochene Spiel mit dem so gern erwarteten pädagogischen Nutzen hat auch schon Erich Ohser meisterhaft in seiner Serie Vater und Sohn (192 Folgen in der Berliner Illustrirten, 1934 -1937) genutzt, um versteckt, aber doch spürbar das stramme Führer-Erziehungs-Ideal des Dritten Reiches zu ironisieren, wenn er das väterliche Vorbild zum spielenden Mittäter wandelt oder wenn sich die Natur nicht so moralisch verhält, wie der Mensch es gerne wäre bzw. wünscht.

Landläufig gelten die Deutschen als humorlos. „Volk ohne Witz. Über ein deutsches Defizit“ heißt ein Buch von Otto Best (1993). Über Humor nachgedacht haben freilich zahlreiche deutsche Denker, von Kant über Schiller bis Jung oder Adorno. Das ist allerdings kein zwingender Beweis, dass Deutsche keinen Humor haben. Vielmehr: dass er so häufig Gegenstand des Nachdenkens ist, mag eher auf das Gegenteil verweisen. Und an primären Beispielen ist wahrlich kein Mangel, auch nicht an komischen Zeichnungen. Allerdings macht Hans-Dieter Gelfert in seinem Vergleich des deutschen und englischen Humors zwei Grundtypen nahezu in allen deutschen Karikaturen aus: das „gemütliche Genrebild und die moralisierende Frontalattacke“, die beide „Autoritäten nicht demontieren, sondern bestätigen“ (Gelfert 1998, 68). Sind wir Deutsche unrettbar autoritätsgläubig? Nun – Ohser zeigt, dass Gelferts Beschreibung vielleicht doch etwas zu einseitig ist.  

Loriot / Loriot Tagesabreißkalender 2016. Unterhaching: KV&H 2015 / © Loriot & Diogenes Verlag

Auch Loriots zeichnerischer Humor hat eine große Spannbreite. Warum lachen wir hier? Die Zeichnung präsentiert eine höchst gefährliche Situation, alles andere als lustig: Flammen schlagen aus den Fenstern; der Bewohner, der sich angstvoll an den Blumenkasten drückt, ist in Lebensgefahr. Aber die verlässliche Feuerwehr ist schon vor Ort. Doch dann wird unsere Erwartungshaltung nicht nur nicht erfüllt, sondern untergraben: statt die Flammen zu löschen, gießt der Feuerwehrmann die Tomatenpflänzchen im Blumenkasten. Unter anderen Umstände eine sinnvolle Tat, doch in diesem Kontext völlig grotesk. Die Szene wirkt komisch und makaber und erinnert an Georg Kreisler und sein bitterböses ironisches Lied vom „Blumengießer“ (1968): „Wenn es dunkel wird in Alabama/ und die Neger zücken ihr Gewehr,/ dann geh ich Blumengießen, Blumengießen…“

Loriot / / Abb. 2 li Aus: Walter Koschatzky (Bearbeitung): Karikatur & Satire. Kat. Kunsthalle Hypostiftung München 1992; S.66 - © Loriot & Diogenes Verlag

Loriot / Abb. 3 re - Aus: Loriots kleiner Ratgeber. München: dtv 1971, S.185.       © Loriot & Diogenes Verlag

Loriot hat die Grundidee mehrfach variiert: Stets erreicht der Feuerwehrmann den Brandherd, will eigentlich löschen, kommt dann aber aufgrund absurder Gründe nicht dazu. Mal ist es die „Tücke des Objekts“ (Friedrich Theodor Vischer, 1879), die leblose Materie macht sich selbstständig und agiert den Intentionen des Menschen zuwider, mal ist es der durch das Angebot ausgelöste Spieltrieb des Menschen, der hier völlig unangemessen Selbstständigkeit gewinnt (wobei der wissende Betrachter den ironischen Seitenblick auf Schiller ahnt: „Erst im Spiel ist der Mensch ganz Mensch“).

 Das ist, was man „schwarzen Humor“ nennt, das Spiel mit dem Horror, der ins Lächerliche abstürzt und ein „Grinsen mit Gänsehaut“ bewirkt (Lammel 1995, 9).

Loriot / Aus: Loriots Wegweiser zum Erfolg. Frankfurt/ Berlin: Ullstein 1969, S.125

Eberhard Holz: „Die Dampfwalze hat ihn überfahren.“/ Aus: Eberhard Holz: Heitere Federstriche. München: Heyne 1980 o.p.

Loriot / Aus: Loriot: Gesammelte Bildergeschichten. Zürich: Diogenes 2008, S.575.

Noch deutlicher zeigen das diese Beispiele. Wie der platt gewalzte Herr, der das Pech hatte, unter eine Dampfwalze zu geraten. Die Idee hat auch Eberhard Holz aufgegriffen; Loriots Variante birgt freilich mehr komischen Zündstoff durch die völlig deplatzierte gestische Reaktion des

Polizisten. Dies irreale Situation wie auch der angesichts der bedrohlichen Lage des Ehemanns absurde Kommentar im zweiten Loriot-Beispiel kippen das eigentlich Schreckliche und wenden es ins Lächerlich-Harmlose. Aus Erschrecken wird durch die Umleitung der eigentlich programmierten Erwartungshaltung ein entlastendes gruslig-wohliges Grinsen.

Werner Nydegger / Aus: Rolf Cyriax/Theo Riegler (Hg.):  Lachen Sie mit, München: Südwest o.J., S.274.

Wilhelm Busch: „Schreckliche Folgen der Neugierde in der Barbierstube“ / Aus: Wilhelm Busch: Was beliebt, ist auch erlaubt. Hg. Von Rolf Hochhuth. Gütersloh: Bertelsmann o.J., S.790.

Natürlich steht Loriot mit solchen Bildwitzen nicht allein da. Mag bei Nydegger und Busch noch eine gewisse, freilich krude pädagogische Idee – der Spott auf die Eitelkeit wie auf die Neugier – als Folie zugrunde liegen...

Abb 1 Gerhard Glück - aus: Rolf Cyriax/Theo Riegler (Hg.):  Lachen Sie mit, München: Südwest o.J. S. 280. / Abb. 2 Friedrich Karl Waechter: „Nun geh schon zu den lieben Heinzelmännchen!“ - aus: Gisold Lammel: Deutsche Karikaturen vom Mittelalter bis heute. Stuttgart 1995, S.10 /  Abb. 3 Papan (i.e. Manfred von Papen) aus: Rolf Cyriax/Theo Riegler (Hg.):  Lachen Sie mit, München: Südwest o.J. S.281 /  Abb.4  Erich Paulmichl aus: Rolf Cyriax/Theo Riegler (Hg.):  Lachen Sie mit, München: Südwest o.J., S.243.

so sind diese Beispiele „schwarzer Humor“ ganz um seiner selbst willen. Sind solche „bösen“ amoralischen Witze, überhaupt freche Witze bei uns salonfähig? Oder trifft auf sie zu, was Kurt Tucholsky über den politischen Witz sagte: „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ (Tucholsky 1919, 42).

Loriot: „Du bist und bleibst ein Mensch – du Ferkel!“/ Aus: Loriot: Gesammelte Bildergeschichten. Zürich: Diogenes 2008, S.180 - © Loriot & Diogenes Verlag

1953 erschien Loriots Serie „Auf den Hund gekommen“ im Stern. In Möpse & Menschen zitiert Loriot aus Leserbriefen, die die Redaktion daraufhin erreichten:

„Die Bildfolge … ist ekelerregend und menschenunwürdig…“ „Die Bilder sind beschämend scheußlich…“, die Bildserie „ist derart geschmacklos und primitiv, dass einen das Grausen ankommt“, „Wann werden die scheußlichen, menschenverhöhnenden Hundewitze aus dem ‚Stern‘ verschwinden?“

Nach sieben Folgen wurde die Serie gestoppt. Der klare Blick – und heute sehen das wohl die meisten Betrachter so - weist sie freilich als Paradebeispiel ironischer Komik über die menschliche Hybris aus. Loriot dreht das allgemein Beobachtbare und Existente ins Gegenteil und macht es so dem innehaltend-kritischen Nachdenken zugänglich. Das muss der Betrachter nicht nur erkennen und kreativ wieder zurechtrücken, er muss auch eine gute Portion Selbstironie haben

 – anders gesagt: gefestigtes Selbstbewusstsein, um auch über sich und eigene Schwächen lachen zu können. 1953, so kurz nach dem Krieg, haben wohl viele aus dem Volk der beschworenen „Herrenrasse“ diese Hybris noch so internalisiert oder standen beschämt unter Schock, dass jede spöttische Kritik ihres Selbst auf Ablehnung stieß. Humorlos erweisen sich meist diejenigen, die borniert einer Ideologie folgen, unfähig, sie und sich zu reflektieren. Kritische Reflexion aber will die satirisch-ironische Zeichnung anstoßen. Sie ist Denkimpuls, eine Waffe des Geistes gegen Falschheit in der Welt, gegen menschliches Fehlverhalten.

 Der terroristische Überfall auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo 2015 in Paris, die Ermordung zahlreicher ihrer Zeichnerinnen und Zeichner zeigt erschreckend, wie Fanatiker agieren können. Dabei gehörte die Satire schon immer zur menschlichen Kultur – als Kritik der Ohnmächtigen an den tatsächlich Mächtigen. Im 16. Jahrhundert z. B. war Deutschland für seinen Humor, den weise-pfiffigen wie den derben satirischen Spott berühmt. Figuren wie Till Eulenspiegel, Reineke Fuchs oder die Schildbürger wurden Weltexporte. Sie spiegeln auf witzig-komische Weise unangenehme Wahrheiten und erzeugen im Lachen Kritik am Falschen.

Flugblatt: Ego sum Papa, um 1500 / Aus: Eduard Fuchs: Die Karikatur der europäischen Völker. Erster Teil. München: Langen 1921, 4. vermehrte Aufl. S.64 Beilage

Flugblatt: Des Teufels Dudelsack, um 1521 / Aus: Eduard Fuchs: Die Karikatur der europäischen Völker. Erster Teil. München: Langen 1921, 4. vermehrte Aufl., S.70

Gerade war mit dem Holzschnitt die Möglichkeit gefunden worden, auch Bilder relativ kostengünstig massenhaft vervielfältigen und damit viele Menschen erreichen zu können. So konnte sich eine umfangreiche Produktion von Flugblättern satirisch-kämpferisch in die damals aktuellen Auseinandersetzungen der Reformationszeit mischen, vielfach mit kritischen Bildern, da ja die meisten Menschen Analphabeten waren. Die oft bittere, derbe Satire führte allerdings nicht zur Ermordung der Zeichner, sondern provozierte Gegenspott, eine geistige Waffe auf beiden Seiten.

Hans Weiditz: Der Weinschlauch, um 1521/Aus: Eduard Fuchs: Die Karikatur der europäischen Völker. Erster Teil. München: Langen 1921, 4. vermehrte Aufl., S.43

Auch allgemein gesellschaftlich ausgerichteter Spott, dessen Folie natürlich unausgesprochen die Norm eines gemäßigten Lebensstiles ist, findet sich in dieser Zeit, wie hier die oft zitierte und variierte visuelle Kritik von Hans Weiditz gegen Saufen und Völlerei. Die Beispiele sind als karikierende Zerr- und Spottbilder direkt und übertreibend. Komische Kritik kann aber auch subtil sein, im mehr oder weniger anspruchsvollen intellektuellen Spiel erfolgen. Wie eben Loriots ironische Hunde-Serie. 

Bilderbogen: Die verkehrte Welt, um 1815/ Aus: Bilderbogen des 18. Und 19. Jahrhunderts. AK Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Münster 1976

Bilderbogen: Die verkehrte Welt, um 1830/ Aus: Walter Koschatzky (Bearbeitung): Karikatur & Satire. Kat. Kunsthalle Hypostiftung München 1992;

Bilderbogen: Die verkehrte Welt, 2. H. 19. Jh/ Aus: Walter Koschatzky (Bearbeitung): Karikatur & Satire. Kat. Kunsthalle Hypostiftung München 1992; S.235

Sie hat ihre Vorläufer in zahlreichen Bilderbögen des 18. und 19. Jahrhunderts mit dem Thema „Verkehrte Welt“. Wobei der Rollentausch von Mensch und Hund auch schon vorkommt (s. Abb. 34 oben rechts). Die Verkehrung soll den oberflächlichen Alltagsblick wieder konzentriert und erkennend auf das richten, was in unserer Welt gut und weniger gut ist, soll zum Innehalten und Nachdenken führen.

Loriot / Aus: Loriot: Möpse & Menschen. Zürich: Diogenes 1983, S.171.

Loriots Metamorphose vom (unzureichenden, bösen?) Menschen zum (guten, idealen?) Hund bleibt freilich fiktive Zeichnung und spottet über das stete Bemühen, den Menschen zu verbessern. Der Kommentar verrät selbstironischen Zweifel an der pädagogischen Wirksamkeit der Satire. Und doch greifen Karikaturisten immer wieder zur Zeichenfeder und lassen sich nicht entmutigen - tapfere, unbeugsame Sisyphos-Kämpfer, wie sie schon Kurt Tucholsky charakterisiert hat: „Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“ (Tucholsky 1919, 43).

Sisyphos ist der Erzschelm der griechischen Mythologie, dem es sogar gelingt, den Tod zu fesseln, bis Ares ihn wieder befreit. In der Unterwelt muss er büßen, muss wieder und wieder einen Felsbrocken einen Berg hinaufwälzen, der dann immer wieder vom Gipfel ins Tal hinunterrollt. Allerdings war nicht seine Schlauheit Grund für die Strafe, sondern sein ruchloser Lebenswandel.

 

Albrecht Dürer, 1494 / Aus: Wolfgang Hütt (Einleitung): Das Albrecht Dürer Hausbuch. München: Rogner & Bernhard 1975, S.391.

1494 erscheint Sebastians Brants Narrenschiff, eine Moralsatire, in der über 100 Narren per Schiff ins fiktive Narragonien unterwegs sind und den Lesern durch witzige Schilderung ihrer Laster und Fehler kritisch-satirisch den Spiegel vorhalten. Zahlreiche Holzschnitte des jungen Albrecht Dürer illustrieren das Buch. Hier begegnen sich Narr und Tod. Aber wie

 

Dürer den Tod sagen lässt „Dü blibst“, stirbt der Narr nicht; er – das närrische Verhalten – ist nicht auszurotten und bleibt der Menschheit erhalten. Zudem brauchen wir den Narren – als Hof- und Stadtnarren. Er ist der künstliche

Narr, der intelligent das Närrisch-Sein nur spielt und in diese Maske schlüpft, um uns (und vor allem den Herrschenden) die Wahrheit im Spiegel der satirischen Kunst vorzuhalten.    

Fliegende Blätter. Nr. 2146 (1886)

Auch der Karikaturist ist ein solcher intelligent-kritischer Narr, wie er z. B. im Titelsignet der Fliegenden Blätter erscheint und Seifenblasen bläst, womit er zeigt, wie so manche der verkündeten Wahrheiten und (politischen) Statements tatsächlich zu werten sind.

Abb. 38 A. Paul Weber: Zwischen den Stühlen, 1963 / Aus: Georg Reinhardt (Hg.): A. Paul Weber. Das graphische Werk 1930 – 1978. München: Schirmer/Mosel 1980, S.335.

Allerdings kann er es sich nur zu leicht mit vielen verscherzen, die sich angegriffen sehen, wie es Paul A. Weber so drastisch ins Bild gesetzt hat.

Loriot // Aus: Loriot: Gesammelte Bildergeschichten. Zürich: Diogenes 2008, S.453 - © Loriot & Diogenes Verlag

Loriot greift das Motiv auf seine Weise auf und dreht es erneut ironisch: „sich durchsetzen“ meint ja auch wieder einen positiven Charakterzug, sich trotz aller Widrigkeiten und Schwierigkeiten mit seiner Ansicht, seinem Wollen zu behaupten.

Loriot / Aus: Loriot: Gesammelte Bildergeschichten. Zürich: Diogenes 2008, S.755 / © Loriot & Diogenes Verlag

Zugleich weiß er um die gefährlich Situation des Narren. Angesichts der Sanitäter, des Feuerwehrmanns und des Polizisten, die alle auf ein mögliches furchtbares Szenario verweisen, wird die Erwartungshaltung Spaß-Haben hier nicht gerade gefördert. Der Narr als Figur mit der Schellenkappe kommt bei Loriot freilich nur selten vor. Bei ihm übernimmt das Knollennasenmännchen diese Rolle, das sich als sein Markenzeichen etablierte.

 Der Künstlername Loriot geht bekanntlich auf den Wappenvogel der Familie von Bülow zurück. Dass der Zeichner sich hinter ihm versteckt, mag daran liegen, dass er sich wie so manche Künstler der Karikatur zunächst eher schämte - wie z. B. auch einige der Zeichner der Fliegenden Blätter und der Münchener Bilderbogen, Absolventen der Münchener Kunstakademie, die zwar ihren Broterwerb durch Karikaturen und Bildgeschichten verdienten, aber anonym bleiben wollten. Eigentlich wünschten sie, als Maler gesehen zu werden. Das bot eher die Chance, Mäzene und Käufer zu finden. Und auch

die Kunstgeschichtsschreibung trägt zu dieser Einschätzung bei, hat sie doch bis auf wenige Ausnahmen die Qualität der Karikatur weitgehend ignoriert. So hat es z. B. lange gedauert, bis man Lyonel Feininger nicht nur als vom internationalen Kunstsystem anerkannten Maler beschrieb, sondern auch als hervorragenden Karikaturisten und Comiczeichner würdigte.

 Auch Loriots Zeichnungen, die im Hamburger Magazin Die Straße und im Stern erschienen, dienten der Lebenssicherung – aber sie offenbarten (ihm wie anderen) auch sein eigentliches Talent: das des visuellen Satirikers, zu dem er sich dann auch bekannte.

Loriot: „Keine Angst, - er beißt nicht!“/ Aus: Loriot: Möpse & Menschen. Zürich: Diogenes 1983, S.35 - © Loriot & Diogenes Verlag

Schon dieser erste 1950 von Die Straße angekaufte drastische Cartoon zeichnet sich durch grotesken Humor aus.

Loriot (Pardon 1/1962) / (c) Verlag Hans A. Nikel & Loriot

Wenngleich Loriot – man beachte die dezent im Blumenstrauß platzierte Bombe mit brennender Lunte - das erste Titelblatt der satirischen Zeitschrift Pardon zeichnete (von 1962 bis 1982, mit zeitweise mehr als 1,5 Millionen regelmäßigen Lesern die größte Satirezeitschrift Europas; das bekannte Teufelssignet zeichnete dann Friedrich Karl Waechter), war die Tagespolitik nicht sein bevorzugtes Thema. 

Loriot: Herbert Wehner & Franz Josef Strauß / Beide aus: Loriot: Möpse & Menschen. Zürich: Diogenes 1983, S.108 und S.109 / © Loriot & Diogenes Verlag

Eher selten zeichnete er Porträtkarikaturen von Politikern – aber wenn, dann charakterisierte er die Betreffenden, wie hier Wehner und Strauß, treffsicher. Bei aller Reduktion sind der SPD- wie der CSU-Politiker in typischen Posen wie auch physiognomisch wiedererkennbar getroffen – und sind zudem „typische“ Loriot-Figuren, wobei die stilistische Zuordnung die inhaltliche Markierung der bürgerlichen Witzfigur mittransportiert.

Auch mit dem Thema Mode, das, eng mit menschlicher Eitelkeit verflochten, reichlich Potential für satirisch-kommentierende Kritik bietet, reiht sich Loriot in eine lange Tradition ein.

Loriot ca. in den 1960er Jahren beim Telefonieren / Foto: ZVAB Spöttel-Press

Lesen Sie die Fortsetzung, den 2. Teil des großen COMICOSKOP-Dossiers über LORIOT und die Zeichenkunst der Ironie von Dietrich Grünewald HIER:

Wohl Deutschlands herausragendster Cartoon-Humorist nach 1945: Loriot alias Vicco von Bülow © Loriot & Diogenes Verlag

(Dieser COMICOSKOP-Beitrag basiert auf einem Vortrag, den Dietrich Grünewald für die Pocci-Gesellschaft am 7. Juli 2016 in Münsing gehalten hat.)

Dietrich Grünewald, Jahrgang 1947, Univ.-Prof. Dr. phil. habil., Studium Lehramt Deutsch, Kunst, Universität Gießen, Promotionsstudium Kunstwissenschaft, Germanistik, Promotion 1976, 2. Staatsexamen 1977, Lehrer, 1977 – 1990 Lehrbeauftragter (Bildgeschichte) am Institut für Jugendbuchforschung, Universität Frankfurt/M., 1978 Wiss. Ass. Universität Dortmund, Institut für Kunst und ihre Didaktik, Habilitation 1980, 1986 apl.-Prof., 1995 Prof. für Kunstwissenschaft und Kunstdidaktik, Institut für Kunstwissenschaft, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, ab 1. 4. 2013 pens., 1986 – 1990 Bundesvorsitzender des BDK, Mitherausgeber von Kunst + Unterricht (bis 2013), im Februar 2005 Initiator, Gründungsmitglied und Gründungspräsident der ComFor (deutschen Gesellschaft für Comicforschung), deren 1. Vorsitzender er von 2005 bis 2013 - acht Jahre lang - war (siehe www.comicgesellschaft.de).  Publikationen im Bereich Kunstdidaktik, Kunstwissenschaft, Bildgeschichte, Comicforschung, Karikatur u.a., Herausgeber und Mit-Autor der Schulbuchreihe Kunst entdecken (Berlin). Entwickelte die Theorie des Prinzips Bildgeschichte. Veröffentlichungen zum Thema Comic und Bildgeschichte: U.a. .Wie
Kinder Comics lesen: eine Untersuchung zum Prinzip Bildgeschichte, seinem Angebot und seinen Rezeptionsanforderungen sowie dem diesbezüglichen Lesevermögen und Leseinteresse von Kindern, Frankfurt am Main, 1984;Vom Umgang mit Comics, Berlin 1991;Vom Umgang mit Papiertheater, Berlin 1993;Comics, Tübingen 2000;Politische Karikatur: zwischen Journalismus und Kunst, Weimar 2002, (Hg.): Struktur und Geschichte der Comics Bochum 2010.

Loading

Kontakt:

Comicoskop-Redaktion

c/o z.Hd. Martin Frenzel

Heidenreich- str.39

64287 Darmstadt

Mail: redaktion

@comicoskop.com oder martin.

frenzel@

comicoskop.com