„Vatermilch erzählt von Vätern, die verschwinden und von Söhnen, die zu unzuverlässigen Vätern werden, zeigt Lebenswege, die ins Dunkle führen, und andere, die einen
unerwarteten Neuanfang erlauben. Das Thema ist schwer und universell, Uli Oesterle geht es vielschichtig, sehr persönlich und mit einer erfrischenden Leichtigkeit in der Bilderzählung an,“ so Brigitte Helbling zum Votum der achtköpfigen Jury.
Weiter heißt es in einer Erklärung der Berthold Leibinger-Stiftung: „Die Geschichte spielt in München und zielt auf Weltformat, die eingereichten Materialien zeigen das Projekt an einem Punkt, wo eine Fertigstellung greifbar wird. Die Jury vergibt den Comicbuchpreis 2016 in großem Zutrauen an ein Unterfangen, das unsere Neugier gerade auch in seinem stilistisch/narrativen Aufbruchswillen geweckt hat.“
Uli Oesterle, geboren 1966 in Karlsruhe, lebt heute mit seiner Frau und zwei Kindern in München und in der Szene keineswegs ein unbeschriebenes Blatt: Der gebürtige Badener machte sich nach seiner Ausbildung zum Grafiker an der Akademie für Gestaltung in München seit Anfang der 1990er Jahre als freiberuflicher Illustrator, Grafiker und Comicautor selbständig und als Comic-Zeichner und -texter realistischer Geschichten einen Namen . 1995 gründete er gemeinsam mit Thomas von Kummant, Benjamin von Eckartsberg und anderen die Ateliergemeinschaft »Die Artillerie«.
So erschienen Uli Oesterles Arbeiten in Magazinen (Strapazin oder Men’s Health), aber auch in der US-amerikanischen Anthologie "The Dark Horse Book of Hauntings". Sein Debütalbum Schläfenlappenphantasien schaffte es 2000 auf Anhieb, beim Internationalen Comic-Salon Erlangen unter die Nominierten für den »Max und Moritz«-Preis zu kommen. Sein bisheriges opus magnum war jedoch die bizarre Detektivserie "Hector Umbra" - wofür er 2004 eine Nominierung beim Comic-Festival im französischen Angoulême und den »ICOM Independent Comic Preis« erhielt. Oesterles Arbeiten wurden bisher in fünf Sprachen übertragen.
Für die über 200seitige, in grotesk-new wavigem Zeichenstil gehaltene Trilogie
Hector Umbra. Der halbautomatische Wahnsinn (2003-2009) bewegt sich Oesterle zwischen dem Genre des Detektiv-Romans und der Gattung des Science Fictions.
Oesterles Hausverlag, der Hamburger Carlsen Verlag, schreibt über HECTOR UMBRA:
"Hector Umbra ist ein Loblied auf die Freundschaft und ein groß angelegter Comic über Liebe, Wahnsinn und Tod.
Die düsteren, zuweilen obskuren Szenen, die reale Münchner Lokalitäten einschließen, die stilsichere starke Farbgebung und eine faszinierende Morbidität machen das nun endlich komplett vorliegende Werk zu einer grafisch und erzähltechnisch ganz besonderen Produktion."
Und weiter heißt es: "Hector, der Held der Geschichte, kämpft sich, auf
der Suche nach seinem Freund Osaka, durch unheimliche Begebenheiten und den Münchner Untergrund, bis im großen Finale schließlich die Frauenkirche in Schutt und Asche gelegt wird. Während seiner
atemberaubenden Jagd tritt eine Gabe zu Tage, die sein Leben lang in ihm schlummerte: Hector ist in der Lage, Dinge zu sehen, die niemand sonst sehen kann. Seine Odyssee führt Hector in
Rückblenden durch Fragmente seiner Kindheit und den unwirtlichen Münchner Untergrund, wo sich fiese Dämonen unter dem Namen N.I.U. organisiert haben - und einen finsteren Plan
verfolgen..."
Eigens als Bewerbungsarbeit für den Comicbuchpreis hat Oesterle nun also die fiktive Biografie seines Vaters quasi als eine Geschichte über Wiedergutmachung verfasst. Sein Vater verließ die Familie in den 1970er Jahren, als Oesterle sieben Jahre alt war. Während der dreißigjährigen Abwesenheit seines Vaters gab es viele Spekulationen über dessen Verbleib, niemand konnte aber mit
Bestimmtheit sagen, wo er sich aufhielt. Gerüchten zufolge war er lange ohne
festen Wohnsitz. Erst nach seinem Tod erfuhr der Künstler von der schweren
Krankheit seines Vaters, dem Korsakow-Syndrom, das vor allem langjährige
Alkoholiker trifft. Die großen Lücken in der Vita des Vaters füllte Oesterle
mit erfundenen Ereignissen, dazu recherchierte er im Obdachlosenmilieu
Münchens.
Oesterle ist es ein Anliegen, das schwere Thema in seinem grafischen Roman Vatermilch unterhaltsam und nicht ohne
Humor zu erzählen. Vatermilch wird wahrscheinlich in zwei Bänden 2018 und 2019 erscheinen.
Der Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung wird am 25. April 2016 an Uli Oesterle verliehen. Er wird jährlich für einen hervorragenden, unveröffentlichten, deutschsprachigen Comic vergeben. Der Preis ist mit 15.000 Euro dotiert.
Beginnend mit dem laufenden Zyklus werden auch die
Finalisten eine finanzielle Anerkennung in Höhe von 1.000 Euro von der Berthold Leibinger Stiftung erhalten. Die neun ausgezeichneten Finalisten sind:
Max Baitinger mit Röhner
Neele Bunjes mit Nepenthes
Sheree Domingo mit
Wie im Paradies
Franziska Ruflair mit Ein Tag ohne Gestern
Eric Schneider mit
XES
Simon Schwartz mit
IKON
Burcu Türker mit
Süsse Zitronen
James Turek mit
Das Shangri-La Motel
Maria Ignacia Vollenweider mit Fussnoten
Die Preisverleihung mit Ausstellungseröffnung zu Uli Oesterles halb-biografischer Comic-Novelle Vatermilch findet freilich erst am Montag, den 25. April 2016, im Literaturhaus Stuttgart statt. Anschließend wandert die Ausstellung an weitere Standorte.