COMICOSKOP - Das deutsche E-Fachmagazin für Comic-Kultur, Cartoon, Manga & Bildgeschichte - unabhängig, innovativ und weltoffen

COMICOSKOP - Das deutsche E-Fachmagazin für Comic-Kultur * herausgegeben und gegründet von Martin Frenzel  /  COMICOSKOP-Chefredakteur: Martin Frenzel

Der Pionier und langjährige Hüter des größten deutschen Comic-Archivs wird 70:

Bernd Dolle-Weinkauff: "Es ging uns um unvoreingenommene historische Forschung und Standortbestimmung des Comics im Ensemble der Literatur"

Dr. Bernd Dolle-Weinkauff, Jg. 1952, war von 1989-2018 Kustos des Instituts für Jugendbuchforschung am Fachbereich Neuere Philologien der Goethe-Universität, machte sich als Comic-Forscher speziell der westdeutschen Comic-Geschichte einen Namen. Er ist Verfasser des 1990 erschienenen Standardwerks »Comics. Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945«. Das von Bernd Dolle-Weinkauff aufgebaute Comic-Archiv des Instituts für Jugendbuchforschung gilt mit über 70 000 Medien als größte Sammlung ihrer Art an einer deutschen Universität. Zuletzt arbeitete er im Rahmen des European Manga Research Network zusammen mit Forschern aus Frankreich, Italien und der Schweiz an einer vergleichenden Untersuchung zur Rezeption und Wirkung des japanischen Comic (Manga) in Westeuropa. Jetzt, 2022, feiert Dolle-Weinkauff, der auch zu den acht Mitbegründern der Deutschen Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) gehörte, sein 70. Wiegenfest.

COMICOSKOP: Bernd, erstmal Glückwunsch zum runden 70. Geburtstag, viel Glück und Gesundheit… alles Gute, auf dass Du 120 Jahre alt werden mögest…Wenn Du jemandem, der noch nie mit dem Comic zu tun hatte, erklären solltest, was das eigentlich Faszinierende an dieser Gattung ist, was würdest Du ihr oder ihm antworten?

 

Dolle-Weinkauff: Der Comic ist eine Literaturform, die nicht nur durch Schrifttext, sondern eben auch in Bildern erzählt…

 

COMICOSKOP: Wie bist Du selbst zum Comic gekommen? Hast schon als Kind Comics gelesen, wenn ja, welche…?

 

Dolle-Weinkauff: Als Kind habe ich, wie die meisten anderen damals, gelegentlich Comics gelesen; eben das was es damals, in den 1950ern und 1960ern  gab: Micky Maus, die Piccolos, aber auch Tarzan, die Illustrierten Klassiker, dann Fernseh-Abenteuer, Fix & Foxi - etwa im Jahr 1966, mit elf, zwölf Jahren,

kam ich an einen Abdruck von Astérix in einem französischen Magazin - und war auf Anhieb total begeistert...

 

COMICOSKOP: Als Du Anfang und Mitte der 1970er in Heidelberg und Frankfurt Germanistik und Geschichte studiertest, wie stand es damals um den Comic – im Vergleich zu heute? Gehörtest Du damals zu den politisch aktiven 68ern…?

 

Dolle-Weinkauff: Was ich damals wahrgenommen habe: Comics waren Lektüre von Kindern und Jugendlichen. Meine Schule in Bad Kreuznach wurde nach '68 ziemlich von der oppositionellen Bewegung erfasst, wir forderten mehr Demokratie und neue Lehrinhalte, wollten die Absetzung des von uns gewählten

Schulsprechers verhindern, gründeten eine Schülergewerkschaft, suchten Kontakte zu Jusos, DGB, SDS u.a.

 

COMICOSKOP: …Du bist dann ja 1983 zum Institut für Jugendbuchforschung in Frankfurt gekommen, unter dem legendären Leiter, Nestor der Jugendliteratur und renommierten, weltoffenen Literaturwissenschaftler Klaus Doderer… wie kam es dann dazu, dass Du ein Forschungsprojekt zum Thema Comics für junge Leser in der BRD seit 1945 begonnen hast… und was genau sollte da erforscht werden…

 

Dolle-Weinkauff: Nun, ich hatte 1983 meine literaturwissenschaftliche Promotion gerade erfolgreich abgeschlossen, da kam Klaus Doderer mit der Frage, ob ich 

im Team eines DFG-Projekts zur Geschichte der deutschsprachigen Comics, das im Oktober des Jahres 1983 starten sollte, mitarbeiten wolle. Es solle um die Entwicklung und Rezeption von Comics für Kinder und Jugendliche gehen 

und an Stelle der bislang eher von der pädagogischen  Abwehrwehrkampagne getragenen Positionen erst mal eine solide Grundlage schaffen - das bedeutete für mich eine unvoreingenommene historische Forschung und

Standortbestimmung des Comic im Ensemble der Literatur.

 

COMICOSKOP: …ein Ergebnis dieser Forschung war ja dann Dein „rotes“ Buch „Comics: Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945“im Beltz Verlag, das 1990 erschien und schon bald zum Standardwerk geriet…

 

Dolle-Weinkauff: Ja, ganz genau, das Buch stieß von Beginn an auf positive Resonanz, gehörte zu den ersten seiner Art...

 

 COMICOSKOP:  In dieser Zeit hast Du ja auch den anderen Comicforscher jener westdeutschen Jahre kennengelernt, Dietrich Grünewald….

 

Dolle-Weinkauff: Ja, Dietrich Grünewald war damals Lehrbeauftragter für Comics am Institut und hat auch eine Menge Prüfungen zu diesem Thema abgenommen... 2005 war ich einer derjenigen „glorreichen Sieben“, die Dietrich fragte, ob sie nicht Lust hätten, an der Gründung eines bundesweiten Forscher-Netzwerks für Comic-Kultur in Koblenz mitzuwirken, die die deutsche  Gesellschaft für Comicforschung, die 2025 ihr 20jähriges Bestehen feiert…

 

COMICOSKOP: War Doderer eigentlich ein Freund der Comics, so wie Karl Riha? Oder war er diesbezüglich „nur“ liberal und offen, ohne selbst comic-affin zu sein…?

 

Dolle-Weinkauff: Riha hat sich anfangs eher journalistisch mit Comics auseinandergesetzt, den Anstoß gaben Strips und Superhelden aus den USA. Darüber hat er u.a. im Frankfurter Studentenmagazin Diskus publiziert. Später hat er das Thema in sein akademisches Repertoire aufgenommen, weitergeführt und um historische Studien erweitert, z. B. zu Rodolphe Toepffer. Doderer hat sich des Gegenstands wirklich angenommen, da er die verbreiteten Vorurteile hinterfragen wollte; und er war persönlich fasziniert von der elaborierten Bildsprache.

 

COMICOSKOP: Parallel dazu hast Du dann ja begonnen, das Comic-Archiv des Instituts für Jugendbuchforschung aufzubauen, heute das größte öffentlich zugängliche seiner Art in Deutschland… warst Kustos des Instituts für Jugendbuchforschung, Universität Frankfurt am Main von 1989 bis 2018..

 

Dolle-Weinkauff: In der Tat betraten wir damals Neuland: Was es 1983 gab, waren verstreute Comic-Bestände in der Institutsbibliothek sowie ein Konglomerat aus Schenkungen und mit Drittmitteln erworbener Sammlungen, die völlig ungeordnet in Kisten und Regalen lagerten.

 

COMICOSKOP: Wie kam es dazu, immerhin war es ja nicht selbstverständlich, dass ein literaturwissenschaftliches Institut auch ein derart großes Augenmerk auf den Comic legt…

 

Dolle-Weinkauff: Wir waren uns im Institut einig, dass in der Bundesrepublik so etwas wie eine Sammelstelle für Comics, für grafische Literatur fehlte und wollten diese Lücke füllen... so entstanden Archiv und Bibliothek, die wir schrittweise aufbauten...

 

 COMICOSKOP: Nach welchen Kriterien hast Du dann als Kurator die Sammlung aufgebaut – es gibt ja sowohl Bestände zur Sekundärliteratur über Comics als auch facettenreiche Bestände an Primärliteratur…? Die Zahlen von heute sind ja beeindruckend: über 30.000 Comics jedweder Form, über 3.000 Sekundär-Zeitungsartikel über Comics, wenn ich recht informiert bin… welche Zeitspanne umfasst die Sammlung… und basiert der Fundus auf Ankäufe oder Schenkungen von Verlagen etc.?

 

Dolle-Weinkauff: Zu den Zahlen: 30.000 Titel etwa dürften es sein, wenn man Serien und Einzelpublikationen zusammenrechnet. In der Bibliothekspraxis ist allerdings die Zählung nach Medieneinheiten üblich, d.h. jedes Heft einer 

Serie wird mitgezählt. Dann sind es gegenwärtig wohl weit über 70.000. Daneben hat die Bibliothek schon immer Comic-Sekundärliteratur erfasst und aufgestellt, das wurde verstärkt nach Einrichtung des Comic-Projekts. Die Artikelsammlung dagegen, die im Projekt selbst angesiedelt war und ist, basiert auf einer Kollektion von Wolfgang Kempkes, die als Schenkung ins Institut gelangte und fortgeführt wurde. Darin sind Presse- und Zeitschriftenbeiträge seit Ende der 1940er Jahre versammelt.

 

COMICOSKOP: Gab es da irgendwelche zeilichen Festlegungen, nach der Devise: Wir sammeln ab 1945? Und wie sah es mit dem Budget aus….

 

Dolle-Weinkauff: Für die Comic-Sammlung, die auch Bildgeschichten und Bilderbücher umfasst, haben wir bewust keine zeitlichen Grenzen festgelegt... Für Ankäufe stand kein Geld zur Verfügung (nur für Sekundärliteratur), der Bestand

kam zusammen durch Stiftungen von Verlagen und Privatpersonen...

 

 COMICOSKOP: Wer sind die Nutzer? Nur Studierende der Uni Frankfurt oder auch Forscher:innen von außerhalb?

 

 Dolle-Weinkauff: Die Nutzung steht allen Interessierten offen, nicht nur Hochschulangehörigen. Felix Giesa führt das Comic-Archiv jetzt, nach meiner Pensionierung, fort….und ist der neue Hüter dieses kulturellen Schatzes….

 

COMICOSKOP: Von 1986-90 warst Du Mitglied der Jury des Gustav Heinemann-Friedenspreises für Kinder- und Jugendliteratur… kann es sein, dass Du daran mitgewirkt hast, den damals gerade auf Deutsch erschienen Shoah Comic von Paul Gillon und Cothias nach dem Roman Martin Grays „Schrei nach Leben“ auf die Empfehlungsliste desselben zu setzen?

 

Dolle-Weinkauff: Ja, das stimmt, aber es war hinter den Kulissen doch recht mühselig, das zu versuchen, denn die Gillon'sche und Cothias'sche Comic-Adaption des Romans galt einigen als trivialisierte Variante ohne besondere Qualitäten. Am Ende ist es ja dann doch gelungen…

 

COMICOSKOP: Als Fachgutachter in Verfahren vor der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hast Du ja auch maßgeblich dazu beigetragen, dass inkriminierte Werke wie „Das kleine Arschloch“ von Walter Moers oder den ersten ins Deutsche übersetzten Band der Manga-Serie „Dragon Ball“ von Akira Toriyama eben nicht an den Pranger gestellt und indiziert wurden…Apropos Dragon Ball, in den späteren Jahren, hast Du Dich auch intensiv mit Manga beschäftigt… was hat Dich daran interessiert und wie würdest Du die Unterschiede zwischen den europäisch-amerikanischen Comics und den japanischen oder koreanischen Manga und Manhwa beschreiben?

 

Dolle-Weinkauff: Das ist ein weites Feld, denn es betrifft eigentlich alles, angefangen von der Produktion und Vermarktung bis hin zur Rezeption. Was die grafische Gestaltung angeht, so ist hier der Schwarz-Weiss-Stil, die 

abwechselnd völlig statische, dann wieder äußerst dynamische Strichführung, die unterschiedliche Anlage von Raum und Hintergrund, die Techniken der piktoralen Verrätselung, die ausufernden Symboliken, die  wechselnden Geschwindigkeiten der Erzählung u.a.m. kennzeichnend. Nicht zu vergessen die Inhalte: Manga und Manwha rühren vielfach an tabuisierte Problematiken, ergehen sich in spirituelle Dimensionen, vermischen Einflüsse aus allen Kulturen der Welt.

 

COMICOSKOP: Du hast in über vier Jahrzehnten zahlreiche Vorträge, Lehrveranstaltungen, Publikationen und Ausstellungen zum Thema Comic vorzuweisen – welche Themen waren denn unter den Lehrveranstaltungen des Instituts, kannst Du ein paar Beispiele nennen…?

 

Dolle-Weinkauff: Ja, gerne, ich habe mich dabei sowohl mit Fragen der Gestaltung als auch der Geschichte, Vorgeschichte und Überschneidungen mit anderen Gattungen befasst, zum Pflichtprogramm gehörte die Einführung in Comic und

Bildgeschichte, in der ich versucht habe, einige Grundlagen für einen produktiven Zugang zu liefern. Zu den interessantesten Angeboten, die ich machen konnte, zählten diskussionsintensive Seminare, in denen nur eine einzige Graphic Novel, z.B. von Flix der Don Quijote, kapitelweise gelesen und besprochen wurde. Da haben wir oft eine ganze Sitzung mit nur ein paar Seiten bestritten - und gesehen, was man da alles herausholen konnte, welche Kontexte aufzuarbeiten waren, welche Voraussetzungen für ein nicht nur oberflächliches Verständnis gegeben sind.

 

COMICOSKOP: Vor beinahe zwanzig Jahren, 2005, warst Du ja einer der glorreichen Acht, die auf Initiative Dietrich  Grünewalds die deutsche Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) in Koblenz aus der Taufe zu heben… was hat Dich damals bewogen, daran mitzuwirken - und wie siehst die Rolle der Gesellschaft als deutsches Comicforscher:innen-Netzwerk heute, die ja 2025 ihr 20jähriges Bestehen feiert…

 

Dolle-Weinkauff: Die Idee dazu kam immer mal wieder auf, aber als der Schritt getan war, nahm das Ganze rasch Fahrt auf. Das war von dem Wunsch getragen, möglichst vielen, die sich nicht bloß gelegentlich mit der Erforschung des Comic beschäftigten und darüber publiziert haben, ein Forum für den Austausch ihrer Ergebnisse zu bieten. Je nach vorherrschender 

Interessenlage gelingt das mitunter mehr oder weniger gut, insgesamt gesehen ist aber eine Vereinigung entstanden, die dem vorgesehenen Zweck gerecht wird und sich ein nicht geringes Ansehen erworben hat.

 

COMICOSKOP: Zuletzt hast Du ja gemeinsam mit Dietrich Grünewald die Studien zur Geschichte des Comics herausgegeben (erschienen im Berliner Christian Bachmanns Verlag).  Was ist Zielsetzung des Sammelbands?

 

 Dolle-Weinkauff: Es geht um eine Betrachtung historischer und zeitgenössischer Spielarten, Produktionsverhältnisse und Publika in ihrer internationalen Entwicklung und Ausformung. Wir waren bemüht, unterschiedliche Facetten historisch orientierter Comic-Forschung im weitesten Sinn  zusammenzutragen und zu präsentieren. So finden sich in diesem Band Überblicksdarstellungen zu Epochen und längeren Zeiträumen ebenso wie Beiträge zu einzelnen Autorinnen und Autoren, Werken und Serien; Untersuchungen zu Frühformen haben ihren Platz neben Längsschnitten durch Entwicklungen der jüngsten Zeit; Gattungsentwicklungen werden ebenso berücksichtigt wie solche von Thematiken, Medien und Märkten; Schnittstellen der sequenziellen Bildgeschichte zu anderen Formen des erzählenden Bildes werden ebenso angesprochen

 ie Vermarktungsweisen und dezidiert antikommerzielle Tendenzen sowie – nicht zuletzt – Positionen der historischen Comic-Forschung selbst.

 

COMICOSKOP: 2002 hast Du ja dann an der Website des Instituts für Jugendbuchforschung mitgewirkt, „Manga-Info“, mit Beiträgen zu japanischen Mangas und deren Autor:innen… was hatte es damit auf sich… ?

 

Dolle-Weinkauff: Die Site entstand aus einem meiner interessantesten Seminare, an dem die Studierenden überaus aktiv mitgewirkt haben. Sie waren so motiviert, dass wir als Ergebnis an Stelle der üblichen Hausarbeiten eine relativ 

aufwändige Internetseite erstellen konnten, die recht tiefschürfende Analysen eiger Serien bot.

 

 COMICOSKOP: Du hast dann ja auch zwei Umfragen zum Rezeptionsverhalten bei japanischen Comics in Deutschland betreut, von 2006 an….Zusammen mit Jean-Marie Bouissou (CERI, Paris) und Marco Pellitteri (Universität Trento) warst Du Mitbegründer des /European Manga Research Network/ http://www.ceri-sciencespo.com/themes /manga/index.php> /in 2006… welchen Zweck verfolgt dieses Netzwerk und wie kam es zu seiner Gründung?

 

Dolle-Weinkauff: Jean-Marie Bouissou hat seine Möglichkeiten bei Science-Po eingesetzt, um seine Idee von einer europäischen Manga-Forschungsgruppe zu verwirklichen. Dafür suchte er Partner in einigen Ländern, unter denen Marco Pellitteri und ich die wohl rührigsten waren, so dass wir Internet-Umfragen zur Manga-Rezeption in den drei Ländern bzw. Sprachräumen durchführen konnten, die wir dann vergleichend untersucht

haben.

 

COMICOSKOP: 2008 hast Du ja die Ausstellung Comics made in Germany. 60 Jahre Comics aus Deutschland kuratiert, die von der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main und dem Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt getragen wurde… Was war Sinn und Zweck dieser Schau, die ja dann auch andernorts zu sehen war….? Schon 1986 und 1987 hast Du ja zwei Ausstellungen mit ähnlicher Stoßrichtung auf die Beine gestellt, zusammen mit Anderen: Comics Made in Germany. 40 Jahre deutsche Comics 1947-1987 (zus. mit Christiane Körner und Katja Ott). Institut für Jugendbuchforschung, Frankfurt am Main...

 

 

DOLLE-WEINKAUFF: Es ging immer jeweils um Bilanzierung der Entwicklung der von deutschsprachigen Autorinnen und Autoren geschaffenen Comic-Publikationen, wobei die Ausstellung in der DNB eine besonders exponierte Stellung einnahm und an beiden Standorten, alson Leipzig und in Frankfurt nacheinander gezeigt wurde....

 

COMICOSKOP: Es gab noch die Schauen 1986 - 1991 Comics - Die Welt der bunten Bilder Wanderausstellung. Eröffnet am 7.2.1986 im Rathaus der Stadt Hochheim … waren  diese beiden Ausstellungen der Fundus, auf dem dann die Wanderausstellung von 2008 fusste?

 

Dolle-Weinkauff: Nein, das letztere war ein Projekt zur Popularisierung von Comics in den Öffentlichen Bibliotheken, die Ausstellungen entstanden also unabhängig voneinander...

 

COMICOSKOP: Sind die Comics seit Beginn der 1970er erwachsener geworden? Mehr noch: Sind die deutschen Comics politischer geworden? Wenn ja, kannst Du dafür Beispiele nennen…?

 

DOLLE-WEINKAUFF: Erwachsener? Nein, das würde ich nicht so sehen, der Comic richtete sich von Anfang an auch an Erwachsene, siehe Winsor McCay; diese Einstufung halte ich für wenig hilfreich. Politisch wurden die deutschen Comics aber in der Tat, seit Ender 1960er Jahre mit Meysenbugs Supermädchen, Hans Magnus Enzensbergers "Berni der Milliardenflipper" (Zeichnungen Mali & Werner), Ernst Steingässers Nazi-Man als einer fantastischen Mutation des

seiner zeitigen CSU-Vorsitzenden Franz- Josef Strauß Heiner H. Hoiers und Detlef Michelers »Das wirklich neue Testament«  und dergleichen. In der Gegenwart hat sich das zu einem Angebot entwickelt, das ständig auf bestimmte Entwicklungen reagiert, sei es die Überwindung der deutschen Teilung, der Afghanistan-Krieg, die Migrationsproblematik u.a.m 

 

COMICOSKOP: Warum gibt es eigentlich so wenige deutsche Comics, die sich mit deutscher Geschichte beschäftigen?

 

DOLLE-WEINKAUFF: Gute Frage, das sehe ich auch so, gerade wenn es um die NS-Zeit geht, aber auch insgesamt. Aber die Frage muss man an die deutschsprachigen Autorinnen und Autoren richten...

 

 COMICOSKOP: Was ist eigentlich ein Geschichtscomic?

 

DOLLE-WEINKAUFF: Nach meinem Verständnis eine Erzählung, die historische Stoffe behandelt, durchaus in fiktionaler Weise, aber ohne Abgleiten in Fantasy und Vermischung mit Elementen, Figuren, Ereignissen, die anderen als der gewählten entstammen

 

COMICOSKOP: Welche Rolle spielten die 68er Comics für die Entwicklung der Comics?

 

DOLLE-WEINKAUFF: Sie waren ein kurzfristiges Leuchtfeuer, das ganz neue Möglichkeiten sichtbar gemacht hat… von Jean-Claude Forests Barbarella, Phoebe-Zeitgeist bis Pravda, Jodelle, Scarlett Dream, Valentina von Guido Crepax, Pichards  Blanche Epiphanie / dt. Brigitte oder Robert Crumb und die Undergroundcomix.... Als die markantesten Werke des Aufbruchs sehe ich die  Comic-Bücher Alfred von Meysenbugs: Wie in kaum einem anderen Werk verdichten sich hier künstlerische, politische und soziale Ansichten in Bildgeschichten, die die Grenzen wie auch die Unterhaltungsfunktionen konventioneller Comics überschreiten. Der im Umkreis des Frankfurter Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) tätige Zeichner war Student am Institut für Sozialforschung und bereits vorher durch seine Strips für die seit 1963 in Frankfurt erscheinende Schülerzeitschrift "Peng" in der politischen Szene bekannt geworden. In seinen Geschichten finden sich allenthalben Anspielungen auf zeitgenössische Personen und Ereignisse, nicht zuletzt auch auf das Frankfurter Milieu, charakteristische Schauplätze und Stadtansichten. Meysenbugs Zeichenstil ist geschult an der Werbegrafik wie auch an der Pop-Art Roy Lichtensteins und setzt auf eine massive Idolisierung der Dinge. Seine bunten klein- und großformatigen Panels fügen sich zusammen zu Reportagen von prototypischen Schicksalen aus der Konsumgesellschaft.  Ich habe darüber in meinem Aufsatz geschrieben, der den Titel trägt Pop, Protest und Politik: Die Comics der 68er...

 

COMICOSKOP: Du hast in einem Beitrag von der Wandlungsfähigkeit des Comics gesprochen –  woran machst Du das fest?

 

DOLLE-WEINKAUFF: Comics, wie andere Literatur auch, gebären ständig neue Gestaltungsformen, Stoffe und Themen…die Spannbreite reicht von den US-Comicklassikern über die europäischen Bandes Dessinées bis zu den japanischen Mangas....

 

COMICOSKOP: Liest Du Comics eigentlich nur zu Forschungszwecken, mit dem kritischen Blick  des Literaturwissenschaftlers oder liest Du Comics auch mal privat, ganz tiefenentspannt...?

 

DOLLE-WEINKAUFF: Das eine schließt das andere nicht aus… Empfehlen kann ich beispielsweise Mark Long, Jim Demonakos, Nate Powell: Das Schweigen unserer Freunde, eine 2013 bei Egmont erschienene Graphic Novel. In dieser Comic-Erzählung geht es um die Bürgerrechtsbewegung in den USA Ende der 1960er Jahre, es geht darum, wie sie das Leben zweier Familien in den Südstaaten verändert. Im Blickpunkt stehen ein schwarzer Bürgerrechtler und ein weißer TV-Journalist. Nicht nur der teils historische, teils autobiografische Hintergrund der Geschichte ist lesenswert, sondern vor allem auch die grafische Umsetzung: Die Bilder sind so schwarz-weiß wie der Konflikt, um den es geht, und entfalten so ihre ganz besondere Wirkung. Das gilt auch für viele weitere Details, die das Buch beispielhaft machen für ein äußerst geglücktes grafisches Spiel mit Text und Bild.

 

COMICOSKOP: Was sind denn Deine nächsten Comicforscher-Projekte der nahen Zukunft…?

 

DOLLE-WEINKAUFF: Das wird noch nicht verraten...

 

 COMICOSKOP: Lieber Bernd, dann sind wir mal auf Äußerste gespannt... danke jedenfalls für dieses Gespräch – und nochmals alles Gute zum 70. nachträglich!

 

Das COMICOSKOP-Exklusivgespräch mit Dr. Bernd Dolle-Weinkauff führte COMICOSKOP-Chefredakteur Martin Frenzel, im Sommer 2022.

Tritt in die großen Fußstapfen Bernd Dolle-Weinkauffs: Nachfolger & Comicforscher Dr. Felix Giesa / Foto: Univ. Frankfurt

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