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Comicoskop-Rubrik: Frankobelgische B.D. - Bandes Dessinées

Ein "Bouncer" macht noch keinen "Blueberry": Keine Minute langweilig, grafisch brillant, aber handlungstechnisch unglaubwürdig (und brutal)

Francois Boucq & Jodorowsky können Giraud/Charlier und der Comanche-Crew Hermann/Greg nicht das Wasser reichen

Von COMICOSKOP-Redakteur & -Westernfan Tillmann Courth

Figuren-Ensemble aus dem mittleren Lauf der Westernserie BOUNCER – © Ehapa/Egmont

Ein Kuriosum im Schaffen gleich zweier Comicheroen ist

die Serie BOUNCER (erschienen 2001-2013 in 9 Bänden). François Boucq, der genialische Illustrator von „Die Frau

des Magiers“, "Teufelsmaul" oder „Die Pioniere des menschlichen Abenteuers“ tat sich zusammen mit dem chilenischen Regisseur und Autor Alejandro Jodorowsky, der in den 1980er-Jahren mit Moebius die Reihe um John Difool und den Incal schuf.

Beide kollaborierten schon in den späten 1990er-Jahren an        „Mondgesicht“ – später haben sie sich an diesem

Western versucht, oder darf ich schon sagen: vergriffen? Man fragt sich, weshalb alle beide ihr angestammtes Territorium, die Fantastik, verlassen haben. Einfach nur, weil sie niemand gestoppt hat?!

Dass wir uns nicht falsch verstehen: BOUNCER ist keinesfalls ein Rohrkrepierer. Diese Alben sehen schmuck aus, und sie bieten

eine Menge kernige Action. Aber der hier schreibende COMICOSKOP-Redakteur wäre nicht der Comic-Snob, wenn er nicht tüchtig was zu meckern hätte!

Keine Frage: Boucq beherrscht Landschaften, so stimmungsvoll und majestätisch wie Giraud! – © Ehapa/Egmont

Handlungstechnisch geht es um Rache und Vergeltung. Die Geschichte dreier Brüder, die zu Todfeinden werden, wird in den beiden ersten Bänden erzählt (und ist in sich abgeschlossen). Band 3 bis 5 machen spannen einen neuen Bogen um den

überlebenden Bruder (den einarmigen „Bouncer“, den Saalsheriff im „Infierno Saloon“).

Ein herrischer Großgrundbesitzer terrorisiert das Städtchen, sämtliche Honoratioren stecken mit ihm unter einer Decke. Diese werden von den Sünden der Vergangenheit eingeholt – in Form von White Elk, dem Überlebenden eines Massakers und Indianer-Genozids. Der Bouncer pendelt zwischen den Fronten,

gebeutelt von Loyalität kontra Liebe.

Jodorowsky skriptet solide, wenn auch nicht immer

glaubwürdig (Stichwort: Verwandtschaftsverhältnisse).

BOUNCER ist keine Minute langweilig - auch dank exzessiver Gewalt, die die Höhepunkte der Serie markiert.

Wenn Sie dachten, COMANCHE sei brutal, werden Sie in BOUNCER eines Schlimmeren belehrt: Wüste Schießereien und grässliche  Verstümmelungen sind hier an der Tagesordnung.

Gestorben wird naturgemäß dabei jede Menge, und auch

wenn nicht gleich ALLE Charaktere über die Wupper gehen, so lässt einen deren Schicksal relativ kalt. Am Interessantesten gerät die Randfigur „Blabbermouth“ – und der ist nur ein simpler Nachrichtenbote mit deus-ex-machina-Funktion!

Also da stimmt was nicht mit Jodorowskys Personal, das fast ausnahmslos auch Blut an den Händen hat. Zu krass, zu

tough, zu tötungswillig? Dieser Alle-gehen-drauf-Nihilismus erinnert mich übrigens sehr an eine andere Westernserie (die mir auch nicht sympathisch ist), nämlich JONATHAN CARTLAND.

Keine Frage: Boucq beherrscht Action, so fließend und dynamisch wie Hermann! – © Ehapa/Egmont

Der hier schreibende COMICOSKOP-Reporter findet, ein Boucq

ist im Westerngenre verschenkt. Er verleiht ihm keine neuen Impulse. Wo seine Kunst uns staunen macht, das ist die verschrobene Fantastik der Horst-Katzmeier-Abenteuer

(alias „Der Nachbar“) oder die skurrilen Welten von MONDGESICHT und TEUFELSMAUL. Meine Lieblingssequenz aus BOUNCER ist nicht zufällig ein zweiseitiger Opiumtraum aus Band 3.

Boucq taugt nicht für den realistischen, bodenständigen Western. Boucqs Metier ist die Schwerelosigkeit, die beklemmende Grenze zum Traumhaften.

Natürlich kann er Western zeichnen! Seine Landschaften stehen denen von Giraud nicht nach, seine brutale Action könnte aus der Feder Hermanns fließen. BOUNCER ist ein grafischer Leckerbissen. Aber Boucq und Jodorowsky kreieren in diesem Genre nichts Neues.

Der COMICOSKOP-Schreiber dieser Zeilen ist erklärter Fan der klassischen (frankobelgischen!) Western BLUEBERRY von Giraud/Charlier und COMANCHE von Greg/Hermann. Diesen ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Versucht wird es dennoch immer wieder: Nach der Blueberry-Blaupause Jijés JERRY SPRING vor BLUEBERRY und COMANCHE kamen Western-Serien wie Deribs BUDDY LONGWAY, JONATHAN CARTLAND, DURANGO, MAC COY, MANOS KELLY und (der jüngste Versuch) BOUNCER.

Der hier urteilende COMICOSKOP-Rezensent rechnet nicht damit, dass im historisch-realistischen Westerncomic noch Marken gesetzt werden können.                                            TIC

Aber das ist Boucqs Trumpf, und so lieben wir ihn: grotesker Humor aus „Das dicke Ende voll im Griff“ – © Schreiber & Leser

Der französische Comic-Künstler Francois Boucq - Jahrgang 1955 (c) Selbymay — Travail personnel, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org

Einer der bedeutendsten Comic-Erzähler der frankobelgischen Comic-Zunft: Francois Boucq

Er gehört zu den bedeutendsten Comic-Künstlern im frankobelgischen und europäischen Raum und erhielt 1998 Europas Comic-Oskar, den begehrten Grand Prix des Internationalen Comic-Festivals von Angoulême für sein Lebenswerk: Der Franzose Francois Boucq, geboren 1955 im nordfranzösischen Lille. Berühmt wurde Boucq wegen seines grotesk-realistischen Grafik, satirisch-surrealen, aber auch politisch brisanten Geschichten, die im Fahrwasser des Kalten Kriegs spielen (allen voran "Teufelsmaul"). Vor allem seine Werke mit dem US-Schriftsteller Jérôme Charyn (geb. 1937) gelten als Meilensteine des grafischen Erzählens. Es ist das große Verdienst der Edition Kunst der Comics, Boucq auch in Deutschland bekannt gemacht zu haben - heute führt vor allem der Splitter Verlag die Herausgabe in deutscher Sprache fort. 1992 erhielt Boucq zudem für die "Pioniere des menschlichen Abenteuers" den Max und Moritz-Preis für den besten internationalen Comic, überdies mehrfach den Prix St. Michel und den Albert-Uderzo-Preis. Mit seinem versponnenen Humor gilt Boucq zweifelsohne als einer der prägenden Kreativen der franko-belgischen Schule. Nach längerer Pause knüpft Boucq neuerdings an die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Amerikaner Charyn an: 2014 erschien ihr neuestes Werk Little Tulip beim Splitter Verlag.                                                 KMF

Boucqs Meisterwerk, die antistalinistische Polit-Parabel  "Teufelsmaul" - zusammen mit Texter und US-Schriftsteller Jerome Charyn /  (c) Splitter Verlag

Szene aus Boucqs/Charyns "Teufelsmaul" / (c) Splitter

Alejandro Jodorowsky (Jahrgang 1929): Chilenischer Autor, Schauspieler, Regisseur surrealer Filme, Comic-Texter der SF-Serie "John Difool" (mit Zeichner Moebius alias Jean Giraud) / Foto: (c) Guillaume Jacquet

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