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Comicoskop-Rubrik: Mangas

Bildgeschichten in der japanischen Stilart

Großes COMICOSKOP-Dossier zur Manga-Kultur

Die große Manga-Welle hat eine lange Geschichte

Vom Gott der großen Augen, Osamu Tezuka, bis zum Wendepunkt „Akira“: Eine kurze Geschichte der Mangas in Japan und Europa / Wie Katsuhiro Otomos Akira 1989 in Europa die Manga-Welle auslöste / Und: Wie mit Bestsellern wie Sailor Moon, One Piece oder Dragon Ball der Siegeszug der japanischen Bildgeschichten in Europa begann  / Deutsche Mangaka auf dem Vormarsch

Von COMICOSKOP-Redakteurin Jessica Kikisch und COMICOSKOP-Chefredakteur Martin Frenzel

Co-Autor und Recherche-Unterstützung: Martin Frenzel

Im November 2018 feiert Japans Gott der Mangas, Osamu Tezuka (1928-1989) posthum seinen 90. Geburtstag: Ohne ihn und sein facettenreiches Lebenswerk – von Astro-Boy über Black Jack, Prinzessin Saphir und Kimba  bis seiner gelungenen Hitler-Parodie „Adolf“ hätte es wohl kaum jenen weltweiten Siegeszug der Mangas gegeben, der heute in aller Munde ist. Zwar erschienen einzelne Mangas bereits schon vor der großen Manga-Welle in Europa, aber Katsuhiro Otomos Akira wirkte 1989 – bei der Europa-Premiere des Zeichentrickfilms, aber auch seines Comic-Epos „Akira“ im europäischen Comic-Mekka Frankreich wie ein Katalysator. Von da an war die Mangamania in Europa nicht mehr aufzuhalten.   Kein Wunder, dass heute Comic-Verlage auch und gerade in Deutschland wie Carlsen, Egmont, Altraverse oder Tokyopop vorwiegend ihr Geld mit japanischen Bildgeschichten verdienen. Mangas sind heute der alles überragende Umsatzbringer der bundesdeutschen Comic-Branche. Nicht zuletzt begeistern – wie Rezeptionsstudien zeigen – die Bildgeschichten aus Fernost junge Frauen und Mädchen.

Japan gilt als mit Abstand größter Comic-Markt der Welt – und seit der Manga-Welle in Europa, ausgelöst durch Katsuhiro Otomos Akira 1989/90, und gefestigt durch Bestseller-Erfolge wie Sailor Moon, One Piece und Dragon Ball, haben sich die Bildergeschichten aus dem Land der aufgehenden Sonne auch und gerade in Deutschland fest etabliert.

Die Bedeutung des Wortes „Manga“, kommt von „Man“, was zu Deutsch in etwa „zwanglos“ oder „ungezügelt“ meint, die Endung „ga“ heißt so viel wie gezeichnetes oder gedrucktes Bild.

Die Vorgeschichte des Manga reicht bis ins Mittelalter, ins 12. Jahrhundert, zurück, als ein buddhistischer Priester namens Toba Emakimono-Rollen verwendete, um satirische Erzählungen darzustellen. Meist zeigten diese Erzählungen in Form von Tieren, denen menschliche Eigenschaften zu eigen waren. Die damalige Erzählart hat mit der heutigen kaum noch etwas gemeinsam, denn heute werden die Geschichten eher filmartig und häufig mit hohem Tempo erzählt. Man spricht nicht umsonst, was den Manga-Mainstream angeht, von High Speed- (Hochgeschwindigkeits-)Comics...

Vom 17. Jahrhundert an erlebte Otsu Kyoto, das alte Japan, einen wahren Zeichen-Boom. Reisende und Einheimische gaben viel Geld aus für buddhistische Amulette, auf denen laszive Frauen, Samurais und Dämonen in Priestergewändern abgebildet waren.

 In dieser Zeit entwickelte sich auch der Holzblockdruck (ukiyo-e, dt.: Bilder aus einer schwimmenden Welt), womit auch der Weg zur Massenproduktion begann.

Ende des 18. Jahrhunderts entstanden, dann die ersten eigentlichen „Manga-Bücher“. Da wurden sie noch Toba-e, benannt nach dem Priester und Kibyoshi genannt. Sie hatten einen gelben Umschlag, umfassten zwanzig Seiten, waren einfarbig und entweder Draht gebunden oder gefaltet, wie eine Ziehharmonika. Anders als Kibyoshi, hatten Toba-e mehrere kleine Bilder pro Seite und kaum Text.

Die erstmalige Verwendung des Worts „Manga“ finden wir bereits im Jahr 1814. Der legendäre, weltberühmte Holzschnittkünstler Katsushika Hokusai (ca. 1760 bis 1849), verwendete den Begriff für seine Skizzen Bild-Bände. Diese waren ebenso mit vielen Bildern und wenig Text gefüllt. Sein bekanntestes Werk ist die „Große Welle vor Kanagawa“ (Kanagawa oki nami ura), - ein Farbholzschnitt, der zur Ikone der japanischen Bildgeschichten-Kultur geriet. Die „Große Welle“ stammt aus Hokusais zwischen 1829 bis 1833 entstandener Bildserie 36 Ansichten des Berges Fuji, in der er auf insgesamt 46 Bildern die Landschaften rund um den Fuji inszenierte. Heute gilt die „Welle“ als eins der berühmtesten Bild-Kunstwerke der Menschheitsgeschichte.

Immer wieder jedoch gab es Wechselwirkungen zwischen West und Fernost: Denn 1868 waren es zwei Europäer, die den westlichen Comic-Stil und die politische Satire nach Asien brachten. Einer von ihnen hieß Charles Wirgman (1832-1891). Zusammen mit seinem französischen Kollegen Georges Bigot machte der britische Maler, Karikaturist und Illustrator das Genre der europäischen politischen Karikatur und Bildsatire in Japan bekannt. So war Wirgman der Herausgeber des Satiremagazins „The Japan Punch“ von 1862 – 1887. Davon inspiriert, erschien das erste japanische Satiremagazin „Marumaru Chimbun“ 1877. Darin übernahmen sie in den 1880ern, die westliche Sprechblase und zeichneten mit Feder statt Pinsel. Die Massenproduktion fand weiter seinen Weg zum Massenmedium, als sich Kupfer- und Setzdruck durchsetzten. 

Ende des 19. Jahrhunderts ebnete Kitazawa Rakuten (1876-1955) den Weg des Manga-kas (Comic-Zeichners), indem er den Stil der US-Comics in seiner Heimat Japan populär machte. Der Herausgeber des „Box of curious“ (Manga), eröffnete 1932, die erste Schule für Karikaturisten. Ein weiterer Meilenstein für Manga-kas, war der Karikaturist Okamoto Ippei (1886 bis 1948). Er war der erste, der in seiner eigenen Zeitung „Ashai Shinbun“, amerikanische Comics abdruckte. Okamato gilt denn auch - gemeinsam mit Rakuten – als Wegbereiter der US-Zeitungscomic-Kultur in Japan. Der japanische Markt hatte damit zwar keine Probleme, US-Comics aufzunehmen, da ihnen der kulturellen Hintergrund fehlte, dennoch stellten man bald aus Kostengründen eigene Zeichner ein. Als erster Manga im heutigen Sinne gilt Kitazawa Rakutens „Tagosakus und Mokubes Besichtigung von Tokio“ (1902), ein lustiger Trip zweier Landeier durch Japans Hauptstadt-Metropole.

Im Zweiten Weltkrieg, als Japan an der Seite Nazi-Deutschlands gegen die USA kämpfte, stoppte die Manga-Industrie teilweise. Es durfte nur noch zu Propagandazwecken gezeichnet werden. Alle Inhalte wurden kontrolliert. Jeder Manga-ka musste sich zwangsweise bei der „Shinbun Nippon Manga-ka Kyôkai“ („Neue Vereinigung der Manga-Zeichner Japans“) eintragen lassen, sonst durfte er nicht als Manga-ka arbeiten. Andere Manga-ka mussten in der Waffenfabrik arbeiten oder für das faschistoid-autoritäre Kaiserregime in den Krieg ziehen.

In der Nachkriegszeit – zumal nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 - wollten die Menschen nicht mehr an den Krieg denken. Sie suchten nach Ablenkung. Die Besatzungsmacht Amerika half Japan in dieser Zeit, zu einer Demokratie zu werden. Mehr noch: Sie erkannten das Potenzial im Manga. Die USA bauten auch in Japan auf reeducation und demokratisches Lernen – und da entpuppten sich gerade die Mangas als ideales Medium, um demokratische Botschaften – weg vom japanischen Obrigkeitsstaat und Militarismus – zu lancieren. Sie stellten Japan die Arbeitsmaterialien und leisteten viel Aufklärungsarbeit zugunsten der werdenden Demokratie. 

Einer der alles überragenden Manga-ka, die sich in dieser Zeit emporarbeiteten, war der spätere „Gott des Manga“, Osamu Tezuka (1928-1989). Er ließ große Augen leuchten und „setzte sich für Liebe und Gerechtigkeit ein“. „Der Gott der großen Augen“, wie man ihn auch nannte, ließ sich vom Disney-Stil inspirieren und gilt als führender Manga- und Anime-Pionier der japanischen Zeichentrickfilmindustrie.

 

Sein Manga Metropolis (jap. メトロポリス, metoroporisu) erschien 1949 auf 160 Seiten – und war inspiriert durch Fritz Langs berühmten deutschen Stummfilmklassiker der Weimarer Republik, genauer gesagt: der Geburt eines weiblichen Roboters. Per Zufall hatte Tezuka ein Bild dieser Roboterfrau in einer japanischen Zeitschrift erspäht, ohne jedoch den Originalfilm zu kennen. 2001 entstand nach dem Manga, der Anleihen bei Fritz Lang nahm, paradoxerweise seinerseits eine Filmadaption...

Der internationale Durchbruch gelang Tezuka mit ,,Astro Boy“, dessen Zeichentrickfilm-Version 1963 bei NBC lief. Astro Boy kam in Japan von April 1952 bis 1968 in Fortsetzungskapiteln im Manga-Magazin Shōnen des japanischen Mode- und Literatur-Verlags Kobunsha auf den Markt. Später erschien der Manga in insgesamt 23 Sammelbänden. Auf Deutsch publizierte Carlsen Comics von 2000 an insgesamt 21 Sammelbände. Osamu Tezuka, der den Ruf eines Übervaters der japanischen Bildgeschichte genießt, war auch derjenige, der das Shojo-Genre (Genre für Mädchen-Manga) erschuf.

Während seines Studiums arbeitete Tezuka erfolgreich an verschiedenen Manga-Projekten, so etwa an »Shin Takarajima«, dem ersten Manga in Buchform. Dieser Manga schaffte aus dem Stand 400.000 Exemplare Verkaufsauflage. Und er schuf »Janguru Taitei«, den wir in Deutschland als KIMBA, DER WEISSE LÖWE kennen und lieben. Nach erfolgreichem Abschluss des Medizinstudiums zog 1952 Tezuka von Osaka nach Tokyo, wo er die Laufbahn eines hauptberuflichen Mangaka einschlug. Dort entstanden die erfolgreichen Reihen »Ribon no Kishi« (übers.: »Der Ritter mit der Schleife«) und »Tetsuwan Atomu«, hierzulande unter dem Namen ASTRO BOY bekannt. 1960 folgte mit »Seiyuki - Die Reise nach Westen« sein erster Anime. Im Jahr darauf erwarb Tezuka die Doktorwürde der Medizin und gründete überdies seine eigene Produktionsfirma, die »Mushi Production AG«. Nach und nach wurden immer mehr Werke von Tezuka als Anime im Fernsehen ausgestrahlt, ebenso entstanden einige Realverfilmungen. Nachdem Tezuka 1964 in New York Walt Disney kennengelernt hatte, wurde auch dort zum ersten Mal ein Anime, nämlich ASTRO BOY, von ihm veröffentlicht.

Über seine Arbeit sagte der Altmeister Tezuka einmal treffend: »Was ich durch meine Arbeit auszudrücken versuche, ist sehr einfach. "Liebe alle Kreaturen dieser Welt! Liebe alles, was lebendig ist!" Diese Botschaft habe ich in all meinen Werken auszudrücken versucht.« Tezukas Leben war von unbändiger Schaffenskraft geprägt, seine Werke umfassen insgesamt schwindelerregende 150.000 Seiten Comics…. Osamu Tezuka starb 1989 an Krebs. Einen Tag nach seinem Tod erschien in einer japanischen Tageszeitung ein Nachruf, in dem auch die Frage gestellt wurde, weshalb Menschen außerhalb Japans Bildgeschichten nicht genauso vergöttern wie die Japaner selbst. Tenor: »Eine Antwort ist, daß es in ihren Ländern keinen Tezuka gegeben hat!«

In seiner Heimat Japan hat Osamu Tezuka einen höheren Stellenwert als Hergé oder Walt Disney in der westlichen Welt. 1994 wurde in seiner Heimatstadt Takarazuka die Tezuka-Osamu-Gedenkhalle errichtet, um sein Leben und Werk zu würdigen, denn Tezuka gilt als der Urvater des Manga, in Japan gilt er bis heute als »Manga no kamisama - Gott des Manga« bezeichnet.

In Deutschland erschien bereits 1982, im Fahrwasser der westdeutschen Friedens- und Anti-AKW-Bewegung, im Rowohlt Taschenbuch Verlag eine arg gekürzte Fassung von Keiji Nakazawas (1939-2012) autobiografischem Meisterwerk „Barfuß durch Hiroshima“ – der wohl erste Manga in deutscher Sprache. Die Erstveröffentlichung dieser erschütternde Comic-Biografie, die das Genre der sogenannten pāsonaru komikku begründete (Geschichten, die eigenem Erleben basieren), erfolgte in Japan im Original bereits 1973 – im Magazin „Shonen Jump“.

Erst 2004 startete Carlsen eine Edition der Gesamtausgabe von „Barfuß durch Hiroshima“. Barfuß durch Hiroshima erhielt 2004 zu Recht auf dem Internationalen Comicfestival in Angoulême, Europas größtem Festival dieser Art, den Prix Tournesol, der seit 1997 für Werke mit herausragendem sozialen Engagement verliehen wird. Zwei Jahre später, ehrte der deutsche Comic-Salon Erlangen Barfuß durch Hiroshima mit dem Max-und-Moritz-Preis in der Kategorie „Bester Manga“. Barfuß durch Hiroshima gehört heute zu den besten Manga- und Comic-Klassikern der Geschichte.

Doch erst der Drehbuchautor und Regisseur, Katsuhiro Otomo (Jahrgang 1954), der mit seinem opus magnum „Akira“ weltweit Maßstäbe setzte, brachte in Europa die entscheidende Wende. Seine episch angelegte Graphic Novel „Akira“, eine politische, postatomare Science Fiction-Geschichte um eine wild-widerspenstige Jugend-Gang im Tokyo des Jahres 2019 (!) behandelt, setzte internationale Akzente, sowohl das Buch, als auch als abendfüllender Trickfilm. In Europa löste die Akira-Premiere 1989 in Angoulême eben jene gewaltige Manga-Welle aus, die bis heute anhält. Der französische Verleger Jacques Glénat bewies seinerzeit den richtigen Riecher, der Hamburger Carlsen Verlag zog mit der Veröffentlichung des Akira-Gesamtwerks nach. Man kann mit Fug und Recht sagen: „Akira“ brachte den Wendepunkt, seitdem war die Welle der japanischen Bildgeschichten in Europa nicht mehr zu stoppen, wuchs von Jahr zu Jahr – bis heute.

Einer der denkwürdigsten Mangas, in der Geschichte, dürfte „Ashita no Joe“ des Zeichners Tetsuya Chiba und seines Texters Ikki Kajiwara sein. Der Kodansha-Verlag brachte zwischen 1968 bis 1973, 20 Bände mit dem jungen Boxer, heraus. Diesem Manga wurde in den 1960ern vorgeworfen, die linken Studentenproteste in Japan gegen den Vietnamkrieg zu fördern. Viele kritische junge Leute identifizierten sich mit der aufmüpfigen Figur des Protagonisten Joe. Die japanische Jugendschutzbehörde nannte den Manga gar „anstößig“, bezichtigte ihn, „gewaltverherrlichend“ zu sein, als Symbol des Widerstands zu gelten. Damals beriefen sich sowohl die linke japanische Studentenbewegung, als auch die Flugzeugentführer der japanischen Roten Armee auf „Ashita no Joe“. Als es im letzten Band so aussah, als sei er getötet worden, gab der Verlag eine Gedenkfeier für 700 Gäste, die um ihr Idol trauerten. Dieser Manga gilt als Paradebeispiel der sogenannten Shōnen-Mangas, wie die Bildgeschichten in Japan speziell für Jungs heißen. Der Manga „Ashita no Joe“ erschien folglich im Weekly Shonen Magazine.

Es folgte, mit Beginn der 1990er Jahre, die sogenannte „Magische Zeit“. Der Kodansha-Verlag, Marktführer der Mangas in Japan, der auch „Ashita no Joe“ herausgab, veröffentlichte von Februar 1992 bis März 1997 den wohl weltweit bekanntesten Shojo-Manga, wie jene japanische Bildgeschichten heißen, die sich vor allem Mädchen und junge Frauen richten: Sailor Moon in siebzehn Bänden – aus der Feder der preisgekrönten Mangaka  Naoko Takeuchi (geboren 1967).

 

Kodansha ist übrigens auch Sponsor des renommierten Comicpreises Kodansha Manga Award, der seit 1977 verliehen wird (seit 1960 unter anderen Titeln).

Mit diesem Fantasy- und Magical Girl-Manga „Sailor Moon“ um die Schöne Mädchenkriegerin, aber in Wahrheit schusselige Heldin, brach eine neue Ära an. Der EMA-Verlag importierte den Manga: „Sailor Moon“ bewirkte – von 1998 bis 2000 zunächst bei Feest Comics in achtzehn Bänden - mit Sicherheit auch den Durchbruch der Mangas bei der weiblichen Leserschaft in Deutschland: Im Blickpunkt des Mangas steht das tollpatschige Mädchen Usagi Tsukino, genannt Bunny, der die sprechende Katze Luna, ihre wahre Bestimmung als Sailor Moon, Kriegerin für Liebe und Gerechtigkeit weissagt. Das Zweite deutsche Fernsehen (ZDF) strahlte am 13. Oktober 1995 die allererste Anime-Folge aus. Von da an kannte in Deutschland das Sailor Moon-Fieber keine Grenzen mehr. Mit der Zäsur „Sailor Moon“ war der „Manga“ als internationales Medium endgültig in deutschen Landen angekommen.

Neben Sailor Moon wirkte – nahezu zeitgleich bei uns – die Shonen-Serie Dragon Ball (jap. Doragonbōru) des japanischen Zeichners Akira Toriyama und basiert lose als Trendsetter der Mangas in Deutschland. Dragon Ball kam im Original von 1984 bis 1995 im Manga-Magazin Weekly Shōnen Jump heraus – und brachte es auf stolze 42 Bänden. Der Umfang betrug sagenhafte 519 Kapitel, bei über 8.000 Seiten. Auch die Anime-Fernsehserien-Adaptionen von Dragon Ball und Dragon Ball Z mehrten die Beliebtheit dieser Serie. Mit etwa 156 Millionen verkauften Exemplaren in Japan und 230 Millionen weltweit, gilt Dragon Ball nach One Piece als zweitmeistverkaufte Manga aller Zeiten. Beim Hamburger Carlsen Verlag erschien Dragon Ball von 1997 an auf Deutsch – im Übrigen zum ersten Mal in der ursprünglichen Leserichtung, von hinten nach vorne.

Unbedingt erwähnenswert ist aber auch der Manga-Meilenstein „One Piece“: One Piece (jap. ONE PIECE, Wan Pīsu) ist eine seit 1997 laufende, international erfolgreiche Mangaserie des japanischen Mangaka Eiichirō Oda, die regelmäßig im Weekly Shōnen Jump erscheint. Mit mehr als 440 Millionen weltweit verkauften Exemplaren bis Mai 2018, davon etwa 365 Millionen allein in Japan, ist „One Piece“ die meistverkaufte Manga-Serie der Geschichte. Die von Eiichiro Oda (1975 geboren) erfundene und gezeichnete Serie faszinierte in Japan Millionen Leser. Sie gilt ob ihres abgedrehten Humors, aber auch wegen der schrillen Charaktere als legitimer Nachfolger für DRAGON BALL. Von der deutschen Ausgabe bei Carlsen Manga der ONE PIECE-Manga gingen bereits über drei Millionen Exemplare über den Ladentisch. Im Mittelpunkt der One Piece-Handlung steht Monkey D. Ruffy, der von Kindesbeinen an vom Hafen-Leben in den Bann gezogen wird. Den gefürchteten Piraten Shanks und seine Mannen fleht Ruffy immer wieder vergebens an, ihn doch einmal mit auf abenteuerliche Fahrt zu nehmen. rd aber von den Piraten abgewiesen. Doch Ruffys Leben ändert sich schlagartig, als er eine Gum-Gum-Frucht isst: Von da an besitzt er die Fähigkeit, seinen Körper (fast) beliebig zu dehnen, „Plastic Man“ lässt grüßen... Die Sache hat aber auch einen Haken: Schwimmen kann unser Held dann plötzlich nicht mehr.

Im Fahrwasser der Bestseller-Kultserien „Sailor Moon“, „One Piece“ und „Dragon Ball“ folgten weitere große Manga Serien, wie Pokemon, Jeanne die Kamikaze-Diebin und Digimon, die hierzulande auch als Animationen ein großes Publikum fanden.

 

Seitdem klebten von den Grundschülern bis zu Teenagern in den ersten Jahren der 2000er an den Fernsehern, verschlang eine ganze Generation deutschsprachiger weiblicher und männlicher Manga-Fans die Bildgeschichten made in Japan. Aus den damaligen Manga- und Animefans bildete sich in Deutschland jene Manga- und Cosplayer-Kultur, wie wir sie heute kennen. 

Ein wichtiger Brückenbauer zwischen den Kulturen des Westens und Asiens bildete der japanische Altmeister Jirō Taniguchi (geboren 1947 in Tottori, Präfektur Tottori, gestorben 2017), der als einer der Begründer und Virtuosen der sog. Gegika gilt, wie in Japan die „Graphic Novels“ und Autorencomics mit anspruchsvollen Inhalten für ein erwachsenes Publikum genannt werden. Mit Meisterwerken wie „Vertraute Fremde“ (dt. erscheint Taniguchis Gesamtwerk vor allem bei Carlsen, zum kleineren Teil bei Schreiber & Leser) machte Taniguchi auch und gerade in Europa von sich reden, zumal sein grafischer Stil stark von europäischen Könnern wie Moebius/Giraud oder Vittoria Giardino beeinflusst war. Zudem bietet Taniguchi als Entdecker der Langsamkeit eine Alternative zu den häufig eher an High Speed erinnernden rasanten Mainstream-Mangas. 

Kein Wunder, angesichts dieser facettenreichen Manga-Welle von Osamu Tezuka bis Akira, von Dragon Ball über One Piece bis Sailor Moon, dass Mangas inzwischen in Deutschland nicht mehr wegzudenken sind. Mehr noch: Dass es in Deutschland heute zahlreiche Manga-Festival-Hochburgen gibt, die zu Magneten der japanischen Bildkultur avancierten. So etwa alljährlich auf der Leipziger Buchmesse oder bei der Connichi im nordhessischen Kassel. Die Connichi geht jährlich an drei Anime Convention-Tagen über die Bühne. Veranstalter ist der Verein Animexx. Dieses Manga-Festival der besonderen Art gilt seit 2002 (bei der Premiere noch in Ludwigshafen am Rhein, seit 2003 in Kassel) als die größte ausschließlich von Fans für Fans organisierte Anime- und Manga-Veranstaltung im deutschsprachigen Raum. Zuletzt lockte das Großereignis über 26.000 manga-begeisterte Besucherinnen und Besucher.

Ein starkes Indiz dafür, wie stark die Manga-Kultur sich in deutschen Landen nachgerade verankert hat, sind indes die Mangaka made in Germany: Allen voran Christina Plaka und Judith Park (Sondermann-Preisträgerin 2005), aber auch Olga Andriyenko, Melanie Schober und der beim Erlanger Comic-Salon 2018 mit eigener Ausstellung präsente David Füleki, Anike Hage, Inga Steinmetz und Robert Labs. Ebenfalls sorgten Künstlerinnen wie Mikiko Ponczeck , Natalie Wormsbecher und SAMI06, de.zibel und Marika Herzog für Aufsehen. Mit ihrem Manga Roman IM EISLAND machte die Zeichnerin Kristina Gehrmann von sich reden – mit einer Graphic Novel im Manga-Stil. Nicht zu vergessen: Der Thüringer shooting star Olivia Vieweg mit ihrem Zombie-Thriller im Manga-Stil, Endzeit (Carlsen), der jetzt sogar zum Kinofilm gerät.

Seit ihrem Song »Silent Scream« und dem zugehörigen Video im Mangalook firmiert ANNA BLUE als einer der erfolgreichsten Musik-Acts »made in Germany« auf youtube. Über 29 Millionen Klicks auf den Song legen davon Zeugnis ab.

Wie ausgeprägt der Manga-Boom in Deutschland ist, spiegeln die Umsätze des Hamburger Carlsen-Verlags wider: Noch 1995, zu Beginn des Booms, lagen sie bei 400.000 Euro, im Jahr 2000 lagen sie bereits bei über vier Millionen Euro und 2002 bei über sechzehn Millionen Euro. Im Jahr 2005 lag der Manga-Bruttoumsatz in Deutschland bei 70 Millionen Euro. Egmont Manga und Anime (EMA) war mit einem Jahresumsatz von fünfzehn Millionen Euro Marktführer, im Jahr 2006 lag laut GfK-Angaben Carlsen Comics mit einem Marktanteil von 41 Prozent knapp vor EMA (38 Prozent). Der Manga-Markanteil am deutschen Gesamt-Comicmarkt liegt inzwischen bei dominanten 70 Prozent. Deutsche Manga-Verlage wie Carlsen Manga, Egmont Manga, Tokyopop, Planet Manga, Kazé und neuerdings Altraverse werfen per Anno über 800 Manga-Bände in die Waagschale – und stellen damit den klassischen frankobelgischen oder US-Superhelden-Comicmarkt um Längen in den Schatten.

Damit nimmt Deutschland inzwischen den Rang als drittwichtigster Markt für Manga in Europa ein. Von 2014 auf 2015 verzeichneten die bundesdeutschen Manga-Verlage ein erneutes Umsatzplus von traumhaften fünfzehn Prozent. Mit anderen Worten: Ohne die Mangas wäre auf dem deutschen Comic-Markt alles nichts. 

                                            JESSICA KIKISCH / MARTIN FRENZEL

Ausgewählte Literatur über die Manga-Kultur:

Jacqueline Berndt: Phänomen Manga: Comic-Kultur in Japan. edition q, Berlin 1995.

 

Gravett, Paul: MANGA: Sixty Years Of Japanese Comics New York 2004.  (Dt. Ausgabe: Manga – 60 Jahre japanische Comics. Dt. Egmont Manga & Anime, 2006.)

 

Thierry Groensteen, L'univers des mangas : une introduction à la bande dessinée japonaise, Casterman, 1991.

 

Amano, Masanao: 100 Manga Artists, Taschen, Köln 2017.

 

Lars von Törne: Wie der Manga nach Deutschland kam. (tagesspiegel.de [abgerufen Mai 2018]

 

www.websquare.imb-uni-augsburg.de/files/Hausarbeit_Eva_Opitz.pdf

 

www.bluray-disc.de/forum/blu-ray-filme-und-kino/71418-anime-auf-bd ausserhalb-von-deutschland-33.html

 

www.egmont-manga.de/der-verlag/

 

 

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