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Comicoskop-Weltspiegel

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Die beiden Doyens der politischen Comic-Satire Frankreichs ermordet: Cabu und Georges Wolinski - das nationale Trauma des 7. Januar 2015

Ein Nachruf von Comicoskop-Redakteur Martin Frenzel

Cabu (1938 - 2015): Der "lebende Daumier"

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 (c) Cabu

 

Nein, es waren keine "Journalisten", wie deutsche Fernseh- und leider auch Printmedien fälschlich vermuteten, sondern zwei der berühmtesten französischen Comic-Zeichner, die am 7. Januar 2015 bei dem feigen Mordsanschlag gegen das Satireblatt "Charlie Hebdo" sterben mussten: Cabu und Georges Wolinski leben nicht mehr.

Wie der frühere Chefredakteur von Charlie Hebdo, Philippe Val, treffend formulierte: "Sie hinterlassen ein Loch, eine nicht wieder auszufüllende Leere. Stellen Sie sich vor, man hätte im 19. Jahrhundert auf einen Schlag Zola, Hugo, Stendhal, Flaubert ermordet. Was uns dann heute fehlen würde. Genau das ist jetzt passiert." 

Cabu alias Jean Cabut wurde am 13. Januar 1938 in Paris geboren und gehörte seit den frühen 1970er Jahren zu den namhaftesten politischen Comic-Zeichnern seines Landes. Er veröffentlichte zahlreiche politisch-satirische Comic-Alben bei seinen bei den Hausverlagen Dargaud und Albin Michel, darunter seine mehrere Alben umfassende Satire-Serie „Le Grande Duduche“, die 1964 in "Pilote" debütierte und erstmals 1972 als Album erschien. Im Blickpunkt dieser Comic-Satire steht ein tapsiger Gymnasiast, gespeist aus Cabus eigenen autobiografischen Erlebnissen am Gymnasium in Châlons sur Marne. Cabus Held wagt den Aufstand gegen autoritäre Strukturen, Spießertum und Kleinbürgerlichkeit.

1973 schuf Cabu seinen zweiten Kultcomic "Mon Beauf" (dt. Mein Macker, besser vielleicht noch: Vulgärer Schnösel), ebenfalls für die Goscinny-Postille "Pilote". Cabu schuf mit "Beauf" das Psychogramm eines vulgären, unflätigen, ungebildeten Spießbürgers und Prolos. Das Cabu-Wort "Beauf" ging sogar in die französische Alltagssprache ein. Ein Macho und Rassist, der alles hasst, was modern ist, die Intellektuellen, die Frauen, der auch deftigen  Witze nicht abhold ist, ein Unsympath vor dem Herrn...

Der 68er Cabut war DER politische Seismograph Frankreichs, er zog die politischen Eliten – von de Gaulle über Pompidou, von Mitterand über Chirac bis Sarkozy und Francois Hollande – herrrlich durch den Kakao.

Cabu war seit 1970, seit 45 Jahren  ständiger Mitarbeiter des Satireblatts Charlie Hebdo - fast ein halbes Jahrhundert lang. Er gehörte zum Inventar der Zeitschrift, mehr noch: Zum kollektiven satirischen Gedächtnis der Nation. Zuvor hatte Cabu auch für die nicht minder legendäre Satirezeitschrift “Hara-Kiri“ (zusammen mit dem ebenfalls am 7. Januar 2015 ermordeten Georges Wolinski, aber z.B. auch der junge Jean Giraud alias Moebius) gearbeitet und für René Goscinnys „Pilote“. Goscinny hatte ihn, Cabu, von "Hara-Kiri" abgeworben und leitete damit eine Revolution im eigenen Haus ein.

Cabu wurde im Zuge der 1970er Jahre immer politischer und zählte sich fraglos zur politischen Linken, wie der konservative “Le Figaro” bemerkt.

Zahlreiche Buch- und Albencover stammen aus Cabus Feder:Er arbeitete zudem fürs Fernsehen, fertigte Jazz-Plattencover. Zuletzt zeigten das Pariser Rathaus 2006-2007 und die Buchhandlung Goscinny (2008-2009) Werkausstellungen Cabus. Im Oktober 2014 erschien Cabus „L'Intégrale Beauf“ beim Verlag Michel Lafon. Bereits 1998 war ebendort die Comic-Anthologie „ Mai 68“ erschienen, die neben Cabu auch die Kollegen Wolinski, Cavanna, Siné und Gébé präsentierte. Cabu wurde am 7. Januar 2015 brutal, im Alter von 76 Jahren, ermordet.

 

Foto Cabu (c) BDZoom

 


(c) Dargaud

 






(c) Albin Michel

(c) Charlie Hebdo

Anti-Marine LePen-Cover Cabus

Georges Wolinski (1934 - 2015): Erotomane, Polit-Satiriker und Berufs-Pessimist

 Die angesehene Tageszeitung "Le Monde" nannte ihn einen "Erotomanen und (Berufs-)Pessimisten", France-Info bezeichnete ihn als Doyen der politischen Comic-Satire Frankreichs: Noch immer ist unfassbar, dass Georges Wilinski und auch der nicht minder herausragende, wenn auch bei uns weniger bekannte große französische Till Eulenspiegel der politischen Bande Dessinée, Cabu, Opfer eines feigen, brutalen Mordanschlags wurde. Als die ersten Meldungen durchsickerten, übers Pariser Massaker des 7. Januar 2015, zumal in den deutschen Medien "nebulös" von getöteten "Journalisten" fabuliert wurde, ahnte niemand, dass sich auch diese beiden Giganten der frankobelgischen  Comic-Szene unter den Ermorderten befinden.

Auch wenn Herr Kleber vom "heute journal" des ZDF offenkundig ebensowenig wusste, wen es da getroffen hatte, wie die "Tagesthemen"-Anchorfrau der ARD.

 

Georges Wolinski, der ebenfalls brutal am 7. Januar 2015 im Alter von 80 Jahren ermordet wurde, sah das Licht der Welt am 28. Juni 1934 in Tunis (Tunesien) und war 2014 80 Jahre alt geworden. Wolinski war Sohn eines polnischen Juden und eineritalienischen Katholikin. Seit 1946 lebte die Familie in der Wahl-Heimat Frankreich. Er studierte zunächst Architektur, schlug dann aber die Laufbahn eines Comic-Zeichners und politischen Karikaturisten ein. Wolinski gehörte wie sein ermordeter Kollege Cabu zu den absolut herausragenden Vertretern der scharfen politischen Comic-Satire Frankreichs. Begonnen hatte seine Karriere bereits 1960, vor 55 Jahren (!),  fürs legendäre Satireblatt „Hara-Kiri“. In der Blütezeit der legendären Comic-Zeitschrift „Pilote“ war es kein Geringerer als Jean-Marc Reiser (1941-1983), der für Kollegen wie eben jenen Wolinski, aber auch Cabu, Mandryka, Marcel Gotlib (der später in seiner eigenen Hauspostille "Fluide Glacial" die Satire auf die Spitze trieb) und Alexis die Texte schrieb.

Von 1970 bis 1981 war Wolinski obendrein langjähriger Chefredakteur eben jenes Blattes, für das er mit dem Leben bezahlte: Charlie Hebdo.

Er galt, wie die Berliner "Jüdische Allgemeine" treffend schreibt, ähnlich wie Cabu,  ein lebender Mythos und als solcher einer der produktivsten zeitgenössischen Karikaturisten Frankreichs.

Zwischen 1970 und 1981 war er Chefredakteur von »Charlie Hebdo«. Dank seines Engagements zog „Charlie Hebdo“ namhafte Comic-Serien an Land, darunter US-Zeitungscomic-Klassiker wie „Krazy Kat“ und „Popeye“, Chester Goulds Dick Tracy, Al Capps „L’il Abner“ und Charles M. Schulz‘ „Peanuts“, aber auch die Arbeiten Guido Bruzellis und des Argentiniers José Munoz, des italienischen Erotomanen Guido Crepax, sowie Benito Jacovitti. Wolinski arbeitete für zahlreiche Medien wie die kommunistische Tageszeitung L’Humanité, aber auch für den "France Soir", "Paris-Match", Télerama" und eben fürs Satiremagazin Charlie Hebdo.

Zu seinen Polit-Comics gehörte die Serie „Monsieur“,mit der er die politischen Verhältnisse in Frankreich aufs Korn nahm. Seit den 1970er und 80er Jahren ironisierte Wolinski in über 30 Alben die gescheiterten Illusionen der 68er Bewegung. Er war selbst einer der ihren. Internationale Berühmtheit erlangte Georges Wolinski als Texter des Erotikcomics „Paulette“,gezeichnet von Georges Pichard. Von da an war er der Nestor der Wollust in Comicform. 2005 erhielt Wolinski den begehrten Grand Prix des wichtigsten französischen, zugleich bedeutendsten europäischen Comic-Festivals zu Angoulême.

Er war neben seinem Weggefährten Jean-Marc Reiser zweifelsohne eine umstrittener „Sexmaniac“, ein Erotomane aus Passion, dessen nicht selten derbe und deftige Sex-Satiren kein Blatt vor den Mund nahmen… und er war wie Reiser ein Meister des skizzenhaft-rotzigen Zeichenstils. Wolinski lebte seine sexuellen Obsessionen derart ungezügelt aus, dass selbst seine eigene Ehefrau anmerkte, er verhalte sich „frauenfeindlich“ und sei ein "Chauvi". Im Grunde seiner Herzens war er wohl ein Radikal-Libertärer Freigeist. Erst jüngst brachte ARTE TV ein sehenswertes Porträt: Darin besuchte Wolinski seinen Freund, den nicht minder herausragenden italienischen Erotikcomic-Star Milo Manara..

1982 war Wolinski auch kurzzeitig Chefredakteur des Comicmagazins „L’Echo des Savanes“, jenes Magazins, das den deutschen Comic-Zeichner Matthias Schultheiß veröffentlichte.

Wolinski schrieb auch zwei Theaterstücke – nämlich "Je ne pense qu’à ça", „Je ne veut pas mourir idiot“ (dt. "Ich will nicht sterben Idiot") 1968 und „Le Roi des Cons“ (1975, dt. Der König der Schweine). Er tummelte sich auch im Filmmetier ("Aldo et Junior"), dito als Schriftsteller
("Lettre ouverte à ma femme").

1989 erschienen seine Erinnerungen bei L’Echo des Savanes.

Wolinski arbeitete auch für Zeitungen wie die linksliberale »Libération« oder das politische Nachrichtenmagazin »Le Nouvel Obsérvateur« (Letzteres war auch Hauspostille von Claire Bretèchers "Die Frustrierten"). Sich selbst nannte er einmal, ein wenig zu bescheiden, einen »Chronisten des aktuellen Geschehens«. Er wolle einfach gute Zeichnungen machen, die Leute zum Lachen zu bringen, so sein Credo.

Als in die Kugeln seiner Mörder trafen, an jenem 7. Januar 2015, war Wolinski 80 Jahre alt.



Foto: Georges Wolinski (c) Salon du Livre Paris

"Humor bedeutet, dass kein Thema tabu ist. Man darf vor nichts zurückweichen. Außer vor der Boshaftigkeit. Wir sind grausam, aber nicht böse."   Georges Wolinski

Georges Wolinski, umringt von Hergé (li) und Jijé (re) azuf dem Comic-Festival zu Angoulême 1977

(c) Albin Michel

(c) Albin Michel

Paulette von Georges Pichard / Georges Wolinski (c) Dargaud

 Wolinski in Deutschland:

In Deutschland erschien ein wenig Wolinski: So brachte der Cadmos Verlag 1986 Che. Das Erbe der verlorenen Revolte aus der Feder Wolinskis. Im Carlsen-Comicsammelband "Gummi. Es lebe die Liebe!" von 1992 fand sich zudem eine Wolinski-Kurzgeschichte. Paulette erschien 1980 im Bahia-Verlag. Im gleichen Verlag folgten Ich war ein schlimmer Phallokrat und Meine Damen, mein Körper gehört Ihnen! (beide 1982). Ferner erschienen in Achim Schnurrers "Pilot" 1981-84 (der kurzzeitig erscheinenden dt. Version von "Pilote") und in Schwermetall bis Ende der 1990er Wolinski-Stories. Ironischerweise auch 1972 in der 68er Postille "Pip".

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