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Herausgegeben und gegründet von Martin Frenzel                      Online seit Dezember 2014 * Chefredakteur: Martin Frenzel

Comicoskop-Rezensionen: Fachbuch

Sekundärliteratur rund ums grafische Erzählen

Amerikas Comic-Strip-Avantgardisten

Reich illustriertes Kompendium zur Geschichte des US-Zeitungscomics: Von Winsor McCay über Lyonel Feininger bis Cliff Sterrett / Hrsg. von Alexander Braun und Max Hollein / Begleitbuch zur gleichnamigen Frankfurter Schirn-Schau

Eine Rezension von COMICOSKOP-Redakteur Hanspeter Reiter

Spektakulär, groß und in Farbe, so eroberte der US-Zeitungscomic von 1895/96 an sein Publikum in Millionenauflage. Die Leser, unabhängig von Bildungsgrad und gesellschaftlicher Zugehörigkeit, waren fasziniert von diesem neuartigen, visuellen Massenmedium, das ihnen nun täglich in den US-amerikanischen Zeitungen Bildergeschichten in Streifenform präsentierte...

"Eine  andere Avantgarde“ kündigt der Untertitel an – und beide Aspekte löst der von Alexander Braun und dem langjährigen Schirn- und Städel-Chef Max Hollein herausgegebene Band auf 270 Seiten denn auch ein. Ein Prachtband, der zugleich als Katalog der gleichnamigen Ausstellung in der Frankfurter Schirn firmiert (siehe das umfassende COMICOSKOP-Dossier von Martin Frenzel und Hanspeter Reiter HIER:

Wer sich darauf vorbereiten möchte oder seine Erlebnisse dort

nachklingen lassen, ist hier bestens bedient.

Umso mehr all jene, die bedauernd darauf verzichten mussten, diese einmalig kuratierte Zusammenstellung von 230

Exponaten aus höchst seltenen Originalen (Tusche-Zeichnungen als Vorlagen) und Original-Seiten diverser US-amerikanischer Tageszeitungen zu betrachten, aus diversen Privat-Sammlungen eingebracht: Die US-amerikanischen Zeitungscomics, heißt es da "entstanden um 1897 in Form von farbigen Sonntagsbeilagen in den großen amerikanischen Tageszeitungen. Sie erreichten als erstes bebildertes Massenmedium zig Millionen Leser pro Tag und setzten sich sofort an die Spitze der Unterhaltungsindustrie. Lange wurde übersehen, wie innovativ und experimentell die frühen US-Comic-Pioniere waren. Mehr noch: Dass sich ihre Arbeiten häufig auf Augenhöhe mit der künstlerischen Avantgarde ihrer Zeit befanden.

Winsor McCay nahm von  1905 an den Surrealismus vorweg, so wie George Herriman in Krazy Kat ab 1913 Aspekte des Absurden Theaters etablierte. Cliff Sterretts Szenarien der späten 1920er Jahre in "Polly and her Pals" erinnern an expressionistische

Stummfilme, während Frank O. King mit Gasoline Alley das Erzählen in Echtzeit probierte.

Der Deutschamerikaner Lyonel Feininger nicht zu vergessen, der 1906/07 mit zwei Zeitungscomic-Serien - "The Kin-der Kids" und "Wee Willie Winkies World" -  seinen Weg zur künstlerischen Unabhängigkeit als angesehener Maler beschritt.

Was meist verschwiegen wird, in seiner Biografie …

So zeigt sich schon hier bei den ersten Comic-Strips und 1/1-Sonntags-Seiten, wie sehr Comics eben dies sind: Die neunte Kunst!

Zeitgemäße Strömungen aufnehmend, auch thematisch übrigens, siehe Frank O. Kings Gasoline Alley, immer just-in-time. Und eigene grafische Tendenzen schaffend, schon damals.

Viele dieser US-Zeitungscomic-Pioniere der anderen Art wiederum in der Tradition anderer Künstler stehend, in deren Zeit von Comics keine Rede war – vor allem europäische wie Wilhelm Busch. 

Entstanden ist ein reich illustriertes, zeitloses Kompendium zu den in Sachen Avantgarde einflussreichsten frühen US-Zeitungscomics, nicht mehr und nicht weniger – für Sammler, Kenner und erst recht für alle, die einen Blick auf diese frühe Zeit werfen möchten: Ein Band, der auch nach Ende der Schirn-Schau empfehlenswert bleibt!  Zwischen "Litle Nemo" und "Krazy Kat":  Welch' eine andere Welt, gegenüber späteren Funnies, Superhelden, Manga, Graphic Novels...                                                                                          HPR 

Pioniere des Comic Eine andere Avantgarde   Hrsg. Alexander Braun, Max Hollein, Vorwort von Max Hollein, Texte von Alexander Braun, David Currier, Thomas Scheibitz, Gestaltung von Alexander Braun   Deutsch   2016. 272 Seiten, 359 Abb.   24,80 x 31,80 cm gebunden   ISBN 978-3-7757-4110-1 - 35 Euro

Von A wie Akim bis S wie Sigurd: Die wunderbare Welt der Lehning-Piccolos

Empfehlenswerter zweiter Band der Comic-Enzyklopädie über den Walter Lehning Verlag  / Gewinn für Sammler und Forscher gleichermaßen / Im Blickpunkt: Die Comics im schmalen Querformat der "großen" Jahre 1955/56 während der Adenauer- und Wirtschaftswunderzeit / Kaleidoskop der westdeutschen Comic-Nachkriegs-Geschichte

Eine  Rezension von COMICOSKOP-Redakteur Hanspeter Reiter

Ein Lexikon der anderen Art: Zu Lehnings legendären Piccolos, also Comic-Heften im schmalen Querformat: Eingeleitet von Uli Böning, der eine Sammler-Geschichte aus seiner Schulzeit erzählt, die ihn letztlich zum Sammeln verleitet hat – und die mich gleich an ähnliche Geschichten aus meiner Jugend erinnerte ... Er hat wie viele andere zum Inhalt dieser Sammler-Edition beigetragen, deren Bände in einer Auflage von jeweils nur 300 Exemplaren erscheint, promotet als „lexikarischer Bildband über die legendären Piccolo Bilderserien, die 1955 und 1956 im Walter Lehning Verlag / Hannover erschienen                                   Cover: (c) Kühlewind Verlag

 

sind, mit 523 großformatigen Farbabbildungen der Heft-Titelbilder.  Gleichzeitig eine zeitgeschichtliche Aufarbeitung der damals als kritisch empfundenen Jugend-Literatur. Der zweite Band einer zehnbändigen Bildbandreihe, die im Zeitabstand von vier bis fünf Monaten fortgesetzt wird.“

Ob nun die umfassende Präsentation der Cover dieser Reihen, immer mal wieder unterbrochen durch Verbote, den Verlag an den Rand der Insolvenz bringend, durch Tricks und Täuschereien weiter veröffentlicht, schließlich auch in Großbänden zusammen gefasst – oder das Lesen einer kompletten Geschichte über viele Seiten hinweg („Der große Akim – So, wie alles begann“) – oder die Geschichte der Publikationen, Hansrudi Wäscher inkl., entliehen von anderen Dokumentationen: Der Lehning Verlag schrieb über zwanzig Jahre lang westdeutsche Comic-Geschichte, von 1946 bis zu seinem Konkurs 1968. Allein der Hauszeichner des Hannoveraner Verlags, Hansrudi Wäscher (1928-2016) warf 1173 Piccolo-Comichefte in die Waagschale. Gerade ein Wäscher erreichte  mit seinen Serien wie Sigurd, Falk, Tibor, Nick der Weltraumfahrer in seinen besten Zeiten Millionenauflagen.

Hier findet „der Sammler“ sein vollständiges Verzeichnis, „der Fan“ eine Quelle des Erinnerns: Sigurd und Akim kehren wieder, Blitz, Blauer Pfeil und andere. „Der Forscher“ freut sich ein Füllhorn an Fakten - über den enzyklopädisch-lexikalischen Charakter des Inhalts, der auch visualisiert das Auf und Ab im Erscheinen zeigt – und des Großformats A3, das einen gelingenden Kontrapunkt zum LangDin-Piccolo-Format darstellt. In wöchentlichen Häppchen – auch dies also keineswegs so neu, wie App-Häppchen uns glauben lassen wollen. Und seinerzeit 100% analog …    

 Die Bergisch-Gladbacher Piccolo-Enzyklopädie soll peu-à-peu in acht bis zehn Bildbänden erscheinen - und damit am Ende insgesamt über 2.000 Seiten DIN A3 umfassen. Damit entsteht ein Kaleidoskop sämtlicher im Walter Lehning Verlag veröffentlichten Piccolos, Großbände und Piccolo-Sonderbände, die zwischen 1953 und 1968 im Rahmen der berühmten "Piccolo-Bilderserien" auf den westdeutschen Comichefte-Markt kamen.

Jeder Einzelband ist ein Prachtband (und sein Geld absolut wert) - und behandelt eine in sich abgeschlossene Zeitspanne von ein bis maximal zwei Jahren Lehning-Produktion und umfasst ca. 200 Seiten. Allein der hier besprochene Band 2 zeigt die großen Jahre 1955 & 1956 auf 176 Seiten mit 653 Farbabbildungen.

Fazit: Wichtiger Beitrag zur westdeutschen Comic-Nachkriegsgeschichte der 1950er Jahre im Besonderen und zum Thema Comics made in Germany im Allgemeinen.     HPR

Enzyklopädie deutsche Piccolo-Bilderhefte, Band II, Die Großen Jahre 1955 & 1956, Hermann J. Mencer, ComicSelection, C. Kuhlewind-Verlag , Bergisch-Gladbach, http://www.comicselection.de/ 69,-- Euro

Macht aus seiner Leidenschaft für deutsche Comics der 1950er keinen Hehl: COMICOSKOP-Redakteur Hanspeter Reiter. Schreibt auf COMICOSKOP vorwiegend über den deutschen Comic-Markt, deutsche Comic-Zeichner und Rezensionen.

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