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Festivals, Messen und Neue Termine

Dänemarks größtes Comic-Festival Copenhagen Comics: Art Spiegelman war der Star-Gast im hohen Norden 

Auch Frankreichs Star-Zeichner André Juillard ("Die 7 Leben des Falken"), Englands "V for Vendetta"-Star David Lloyd und Israels Comic-Künstlerin Rutu Modan gaben sich die Ehre / Ein dänisches Festival mit ganz viel internationalem Flair

Dänemarks wichtigster Comic-Preis geht u.a. an Halfdan Pisket autobiografische Graphic Novel "Desertør",  an den politische Cartoonisten Lars Andersen (für die Zeitung "Berlingske Tidende") und Herr Seele/ Kamagurkas "Cowboy Henk" (bester internationaler Comic in dän. Übersetzung) sowie an Richard McGuires "Here" (bester internationaler Comic).

Publikumsmagnet beim Copenhagen Comics Festival: Der New Yorker, in Stockholm geborene "Maus"-Starzeichner Art Spiegelman / Foto: (c) Copenhagen Comics


Foto: (c) Frank Madsen

Die Gewinner des dänischen Comic-Oskars: PING-Preise 2015

Bestes dänisches Comic-Debüt: "Lava” von Glenn August (Verlag Fahrenheit)

Bester Kinder-/Jugendcomic: ”Gigant” von Rune Ryberg (Forlæns)

Der beste politisch-journalistische Pressezeichner des Jahres:  Lars Andersen (zeichnet für die konservative Tageszeitung "Berlingske Tidende")

Bester Web-Comic des Jahres: ”Cirkus” und ”Livets skyggeside” (Die Schattenseiten des Lebens) von Thomas Nøhr

Beste internationaler Comic: "Here” von  Richard McGuire (Pantheon)

Beste auf dänisch übersetzter internationaler Comic: ”Cowboy Henk” von Kamagurka und  Herrn Seele (Forlæns)

Ehrenpreis für ein Lebenswerk: posthum an den Interpresse-Comicverleger Arne Stenby

Bester dänischer Comic (Hauptpreis): ”Desertør” von Halfdan Pisket (Fahrenheit)


Angoulême in Alarmstimmung, aber fast ohne den alten Eigensinn

...und ohne Präsident François Hollande / Zwischen dem Alptraum des Attentats, Autoren-Aufstand, Auftritt Amerika nebst Absatzmarkt Asien

Von Comicoskop-Redakteur & -Reporter Martin Frenzel (Angoulême)

ANGOULEME. Aufstand der Autoren: 600 Comic-Schaffende demonstrieren für ihre Rechte / Generalstände und Marsch durch die Stadt / Erstmals Charlie-Preis für das Recht auf freie Meinungsäußerung verliehen: Posthum an die ermordeten Zeichner Cabu, Wolinski, Charb et al / Außergewöhnlich: Die große Calvin & Hobbes-Schau / Absatzmarkt Asien dominierte (zu stark), Präsident Francois Hollande und Bill Watterson glänzten durch Abwesenheit

Allgegenwärtig: Das Charlie Hebdo-Attentat vom 7. Januar 2015 und die Folgen

Eine Festival-Reportage von Comicoskop-Redakteur Martin Frenzel aus Angoulême.

Herzzentrum des Comic-Festivals: Das historische Rathaus mit Riesen-Solidaritäts-anderolen zu Gunsten der Mordopfer von "Charlie Hebdo" / Foto: (c) Martin Frenzel / Comicoskop

Blick in die sehenswerte, wenn auch geschichtslose Ausstellung zu Ehren von Charlie Hebdo. Foto: Festival International de la B.D.  Angoulême

 

Es herrschte eine eigenartige „Nous sommes Charlie“-Stimmung in der Stadt, die man das „Cannes der Comics“ nennt. Wohl noch nie in der 41jährigen Geschichte des wichtigsten, mit weitem Abstand größten europäischen Comic-Festivals gab es eine derartige Polizeipräsenz wie diesmal, noch nie dagewesen waren auch die strengen, zuweilen absurd übertriebenen Sicherheitskontrollen an den Eingängen aller Veranstaltungen: Angoulême 2015 befand sich, wohl erstmals, seit es 1974 aus der Taufe gehoben wurde, sichtlich in Schockstarrre, der lange Schatten des Pariser Attentats vom 7. Januar 2014 aufs Satireblatt „Charlie Hebdo“ reichte bis tief in den Südwesten Frankreichs.

200.000 Besucherinnen und Besucher – und doch war Vieles war so wie sonst in der charmanten Comic-Hauptstadt Europas an der Charente: Es wimmelte augenfällig nur so vor Polizei, überall zeigten „les flics“ auf dem diesjährigen Comic-Festival zu Angoulême Ende Januar / Anfang Februar 2015 geradezu überbordende Präsenz. Angoulême glich einer Stadt im Schock- und Ausnahmezustand… Man fühlte sich an das erinnert, was Heinrich Böll einmal in den 1970er Jahren die „fürsorgliche Belagerung“ nannte. Metalldetektoren bestimmten die Atmosphäre an den Eingängen der „Bulles“, der lang gestreckten, stets proppenvollen, tunnelartigen Comic-Messezelte am Champ de Mars und Champ de New York… Nicht immer (wenn auch meistens) waren die Aufpasser vor den Eingängen zu Ausstellungen oder den Messetunnels („Bulles“) die Höflichkeit in Person, einige nutzten ihre „Macht“ und zwangen arglose Besucher gnadenlos zum vollständigen Entleeren ihrer Rucksäcke, obschon sich dahinter lange Warteschlangen drängelten (Merke: Terroristen wären nicht so töricht gewesen, sich durch dieses Gewusel zu zwängen – hätten, wenn sie gewollt hätten, andere Mittel und Wege gefunden. Insofern hatte die Sicherheitsmaßnahmen etwas Absurd-Bizarres.) Gleich am Beginn des Festivals gab es denn auch einen Fehlalarm – Zeichen für die hypernervöse Atmosphäre in Angoulême. Eins haben die Attentäter von Paris so zumindest erreicht: Die einst familiäre Atmosphäre des Festivals, zuletzt ohnehin nur noch in Spurenelementen vorhanden, war diesmal so gut wie weggeblasen. Zudem goss es die ersten beiden Festivaltage in Strömen, so, als weine der Himmel ob des Pariser Charlie Hebdo-Anschlags bittere Tränen. Lange Schlangen etwa vor dem Vaissaeu de Moebius (dem ehem. C.N.B.D.I.) sorgten dafür, dass die ob der langsam vorangehenden Taschen-, Ganzkörper- und Gesichtskontrollen Wartenden samt und sonders pitschnass wurden, so sie keinen großen Regenschirm mit dabei hatten.

Wenn das Charlie Hebdo-Attentat nicht „dazwischen“ gekommen wäre, hätten die Über-Dominanz der Comic-Giganten Asien (gleich zwei Pavillons zu China und Taiwain/Hongkong, Ausstellung zu Ehren Jirô Taniguchis im Vaisseau Moebius) und der US-Amerikaner (die sehr sehenswerte, aber völlig überlaufene Bill Watterson-Schau „Calvin & Hobbes“ und zur Geschichte der US-Zeitungscomics, große Jack Kirby Schau zu dessen Superhelden-Universum) kaum größer sein können (und den Rest des doch eigentlich französischen Festivals regelrecht erdrückt). Das spricht zwar auf den ersten Blick für die Weltoffenheit und den Rang des Comic-Festivals von Angoulême, andererseits hätte man sich eine viel stärkere Präsenz frankobelgischer Comic-Kunst auch und gerade mit Blick auf die größeren Ausstellungen gewünscht… Irgendwie wurde man während des Salons den Verdacht nicht los, dass dieser interkontinentale Ansatz vielmehr kommerziellen Marktinteressen geschuldet war: Das Schielen auf die lukrativen Absatzmärkte China, Taiwan, Hongkong, Japan und last but not least Nordamerika… Einzig die gelungene, spontan und in Windeseile nach dem Attentat zusammengestellte Hommage an Charlie Hebdo-Schau im Comic-Museum der Stadt setzte dann doch noch einen landestypischen, starkes Aufsehen erregenden, gleichermaßen qualitativen wie publikumswirksamen Akzent.

Charlie ist überall: Ausstellung, Anthologie, Anker-Platz

Es war eine würdige Ausstellung, die man da im nationalen Comic-Museum von Angoulême in der Cité zu sehen bekam: Die Schau „Une Histoire du Charlie Hebdo“ (Eine Geschichte Charlie Hebdos) zeigte die lange Tradition des politischen Comic-Satiremagazins „Charlie Hebdo“ (von 1970 bis zum Attentat mit der „grünen“ Mohammed-Ausgabe, dem die Tat bedauernden Propheten auf der Titelseite), seines Comic-Avantgarde-Ablegers „Charlie Mensuel (1969 – 1986) und seines Vorläufers „Hara-Kiri“ in einer langen Kette von Glasvitrinen – zumeist mit den Titelblättern des Journals, zuweilen auch mit Einzelseiten von Wolinski, Reiser, Gébé, Cabu, Willem, Charb, Tignous, Luz, Honoré, Catherine, Riss..., und all den anderen. Ergänzt wurde der die Schau durch allerlei Multimedia-Einspielungen… eine davon war ein alter Film, in dem der junge Wolinski, der junge Cabu mit ihrem Chefredakteur Fred auftreten… oder einen der Charlie Hebdo-Begründer, Francois Cavanna. Die Schau schlug einen Bogen bis zur Vorläuferzeitschrift der 1960er Jahre, dem Anarcho-Satiremagazin „Hara-Kiri“, für die ja auch der junge Jean Giraud (schon damals unter dem Pseudonym „Moebius“) zeichnete. Und: Charlie Mensuel setzte als Katalysator von Klassiker- und innovativen Comics weit über die eigene Leserschaft Maßstäbe, jahrelang unter der Chefredakteurs-Ägide des am 7. Januar 2015 ermordeten Georges Wolinski. So erschienen hier Klassiker-Evergreens wie „Krazy Kat“, Andy Capp und die Peanuts, aber auch Guido Buzelli, Max Cabanes und Guido Crepax, Georges Pichard, Nikita Mandryka und Willem – Letzterer entging wegen seiner chronischen Unpünktlichkeit nur knapp dem Atentat und ist heute noch Stammzeichner bei „Charlie Hebdo“. 1986 fusionierte Charlie Mensuel mit Pilote, was aber das Aus nur wenige Jahre, bis 1988, verlängerte. Übriggeblieben, dank Wiedergründung: „Charlie Hebdo“ – die Zeitschrift, die inzwischen nach dem Attentat weltweit in Millionenauflage erscheint.

Einziger Wermutstropfen: Es fehlte der Verweis auf die lange, über 150jährige Tradition der politische Bildsatire Frankreichs – von Honoré Daumier bis Gustave Doré. Auf Satirezeitschriften wie „Le Charivari“, „Le Rire“ oder „La Caricature“ oder das „Journal Amusant“ (um nur einige wenige zu nennen). Zukunft braucht Erinnerung: Diese Maxime beherzigten die Macher der ansonsten gelungenen Charlie Hebdo-Ausstellung nicht. Dabei wäre es für die Macher der Ausstellung dank des gut sortierten, gigantischen Archivs des Comic-Museums von Angoulême ein Leichtes gewesen, diese wichtige Vorgeschichte in zwei, drei Vitrinen voranzustellen. So entstand der Eindruck, Charlie und Harakiri seien im Pariser Mai 1968 quasi plötzlich vom Himmel gefallen. Erst bei der Preisverleihung im Theater von Angoulême machte die Dia-Show als visuelles Hintergrunderlebnis zwischen den Preisverleihungen die lange Kontinuitätslinie der politischen Bildsatire Frankreichs deutlich. In einem eigenen Gedächtnisraum widmete sich die Charlie-Schau den ermordeten Zeichnern Cabu, Georges Wolinski und Charb, Tignous und Honoré, wie in einem posthumen Panoptikum…– jeder Künstler war dort mit zum Teil großformatigen Wandprojektionen vertreten, dort konnte man ihnen nochmal gedenken. Viele Französinnen und Franzosen, ganze Generationen sind mit Cabu, dem satirisch-moralischen Gewissen der Nation aufgewachsen, kennen seine beiden in Frankreich bekannten Serien „Le Grand Dedouche“ und „Mon Boeuf“, aber auch seine bissigen Polit-Satiren. Keiner konnte Mitterand derart treffsicher aufs Korn nehmen wie er, die Sphinx der Macht. Im stark nachgefragten Album „Les Années 70s“ (Die 1970er Jahre) schreibt „Dany le Rouge“, Dany Cohn-Bendit, das Vorwort für seinen Freund – auch dieses Album spiegelt französische Gesellschaftsgeschichte der besonderen Art. Viele heute Erwachsene kennen Cabu aus einer in Frankreich populären Kinderfernsehsendung, wo er als Zeichner auftrat. Viele Französinnen und Franzosen – das war deutlich zu spüren – nahmen hier nochmal Abschied, sagten Adieu – und versuchten den Alptraum des Attentats Revue passieren zu lassen, gar zu verarbeiten. Auf diese Weise konnte man noch einmal erahnen, wer da am 7. Januar 2015 brutal aus dem Leben gerissen worden war: Der Mord an Cabu und Wolinski war für die Franzosen, mehr noch als der an den anderen getöteten Zeichnern, ein nationales, tiefes Trauma, dessen Ausmaß in den deutschen Medien („ermordete Journalisten“) kaum erfasst wurde. Schwermut, Schmerz und Leichtigkeit gingen – typisch französisch eben – in dieser Retrospektive Hand in Hand.

An einer langen schwarzen „Nous sommes Charlie“-Trauerwand – quasi der Klagemauer des Festivals – konnten die BesucherInnen mit Kreidestrichen ihrer Trauer Ausdruck verleihen, Solidarität mit den Mordopfern und den Überlebenden des Pariser Satireblatts.

Die schwarze Trauerwand in der Charlie-Ausstellung / Foto: FIBD Angoulême

Hommage 100 Jahre Charlie Chaplin-Comics (1915 - 2015)

100 Jahre Charlie Chaplin im Comic: Feierte 1915 Premiere...hier das Cover einer französischen Charlot-Ausgabe von 1925. 

(c) FIBD Angoulême

Eine kleine Überraschung der positiven Art: Im gleichen Raum wie die die Charlie -Ausstellung konnte, wer mochte, noch eine kleine, aber feine Charlot Charlie Chaplin im Comic-Ausstellung bewundern – von den frühen Anfängen im Jahre des Herrn 1914/1915 bis in die Gegenwart.

 

In Großbritannien war es 1914 Ed Carey, der Charlie Chaplin in seinem Zeitungscomic „Pa’s Family and their Friends » einen allerersten Auftritt verschaffte. Erst am 14. März 1915 – im 2. Jahr des 1.Weltkriegs – folgte die erste eigenständige Comic-Serie zu Ehren Charlie Chaplins – die sog. « Charlie Chaplin’s Comic Capers », veröffentlicht auf den Seiten der Zeitung l’Evening Star und vertrieben durchs J. Keeley Syndicate, der Agentur des Chicago Herald. Will heißen: Der erste reguläre Chaplin-Comic erschien vor exakt 100 Jahren! Die kleine, aber feine Charlie Chaplin im Comic nahm sich derart facettenreich aus, dass man dort auch Entdeckungen machen konnte: Dass nämlich kein Geringerer als Barbarella-Starzeichner Jean-Claude Forest 1952 einen eigenen Charlie Chaplin-Comic für die Zeitschrift „Vaillant“ kreierte.

Die "Mumin"-Schau passte nicht in die Landschaft

Eher unpassend wirkte dagegen die räumliche Nähe der Mumin-Tove Jansson-Schau – zumal diese Schau zwar einige Bilder und Zeitungscomics der schwedisch-finnischen Künstlerin und Schriftstellerin bot, aber ansonsten mit eher kinder-gerechten Blickfang-Elementen (Gucklöcher oder rosafarbene Wohlfühlwände) hausieren ging. Zum einen war der Kontrast zur Charlie Hebdo-Gedächtnisausstellung schier unerträglich, zum anderen kam diese Schau ein Jahr zu spät: Sie wäre zum 100. Geburtstag der bekanntesten finnischen Comic-Zeichnerin 2014 in Angoulême fällig gewesen, dann vielleicht verknüpft mit einem Blick auf die gesamte, heutige lebendige finnische Comic-Szene.

 

Tove Jansson (1914-2001) schuf die Saga der Mumintrolle erst in Romanform 1945, 1954 folgten die enorm erfolgreichen Zeitungscomics für den Evening Star. 1958 übernahm ihr Bruder Lars Jansson – weil seine Schwester der Mumin-Trollwesen überdrüssig geworden war - die Mumin-Zeitungscomics als Texter weiter, von 1961 bis 1974 zeichnete er sie auch.

 

Man hätte diese zu groß geratene Mumin-Schau andernorts in der Stadt eine Nummer kleiner aufziehen sollen und stattdessen besser nebenan eine schöne, umfassende Fluide Glacial-Schau präsentiert.

"Charlie Hebdo" war allgegenwärtig: Preise, Platz, Publikumskontrollen...

Ein Platz für Charlie Hebdo: Eingeweiht während des Comic-Festivals - "für die Verteidigung der Meinungsfreiheit".

Foto: FIBD Angoulême

Wie stark und nachhaltig der „7. Januar 2015“ – das Mordattentat auf Charlie Hebdo wirkte, mag auch die Omnipräsenz des Themas jenseits der Ausstellung illustrieren: So war die eigens zum Festival von Angoulême edierte schwarze „La B.D. est Charlie“-Comic-Solidaritätsanthologie im Nu vergriffen –am 3. Tag des Festivals war das Buch schon nicht mehr zu bekommen…

 An der Fassade des historischen Schlosses – heute das Hôtel de Ville (Rathaus) der Stadt – hing zudem eine riesige Banderole „Nous sommes Charlie“ als unübersehbare Solidaritätsbekundung.

 Ein denkwürdiger und vor allem dauerhafter Akt der Solidarität: Die Umbenennung eines Teils des Place des Halles an der alten Markthalle der Stadt an der Charente in Place de Charlie. Eher peinlich: Das völlige Fehlen der Polit-Prominenz der Pariser Regierung. So glänzte der eigentlich angekündigte Staatspräsident Francois Hollande durch Abwesenheit – obwohl ihm eine Visite in der europäischen Comic-Hauptstadt gerade jetzt, nach diesem 7. Januar 2015, gut zu Gesicht gestanden hätte. Stattdessen zeigte der Aspirant des bürgerlichen Lagers für den Posten des Präsidentschaftskandidaten, der populäre Oberbürgermeister von Bordeaux und ehemalige Premierminister Alain Juppé Sinn für den symbolträchtigen Moment. Juppé ließ es sich nehmen, den neuen Charlie Platz höchstpersönlich einzuweihen – und sich öffentlich offensiv zur Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit zu bekennen.

Und der Zeichner Jean-Christophe Menu, Mitbegründer des französischen jungen Avantgarde-Comicverlags „L’Association, sorgte gleich zu Anfang für Furore, als er bei der Verleihung des Grand Prix Special an die Macher von Charlie Hebdo verbal heftig vom Leder zog – und unterstrich, was schon Charlie-Veteran Willem kritisiert hatte:

 Dass Charlie Hebdo nun plötzlich ausgerechnet von den herrschenden Eliten hofiert werde, die traditionell die Hauptzielscheibe der Satiriker bilden. Es sei, so Menu frank und frei, die vornehme Aufgabe von Satire, auf jedwede Form staatlicher oder kirchlicher Macht zu „scheißen“. Oder etwa den Oberbürgermeister von Angoulême aufs Korn zu nehmen, wenn der Gitter wie in einem Zoo um öffentliche Straßenbänke aufzäumen lasse.

Angoulêmes bürgerlich-konservativer junger Oberbürgermeister Xavier Bonnefort machte derweil gute Miene zum bitterbösen Satyrspiel und zog sich elegant, dergestalt durch den Kakao gezogen, aus der Affäre.

Ministerin holte für Präsident Hollande Kastanien aus dem Feuer

 Hielt eine engagierte Rede für das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit und für die Freiheit der (Comic-)Kunst: Frankreichs aus dem südkoreanischen Seoul stammende Kulturministerin Fleure Pellerin. Foto: (c) Martin Frenzel (Comicoskop) 2015

Zum Finale des Festivals erhielten die ermordeten Charlie-Zeichner um Cabu, Wolinski, Charb, Tignous und Honoré posthum noch einen Preis – den nach dem Attentat eigens gestifteten neuen Charlie-Preis für das Recht auf Meinungsfreiheit (Prix Charlie de la liberté d’expression), der ab sofort alljährlich verliehen wird.

 

Und die ebenso wie wortgewandte adrette, gebürtig aus dem südkoreanischen Seoul stammende Kulturministerin Fleure Pellerin machte mit ihrem glanzvollen, glamourösen Auftritt im Theater bei der Preisverleihung ein wenig wieder wett, dass ihr Chef, Staatspräsident Hollande, am Ende doch nicht in Erscheinung trat.

 

Ihre fulminante Rede war ein vehementes Plädoyer für die Meinungs- und Pressefreiheit, vor allem aber auch für das Recht auf bitterböse Satire, ohne dafür totgeschlagen zu werden, für die konsequent laizistische Trennung von Staat und Religion: „Das diesjährige Festival sei zwar traurig gewesen, aber es war auch Ausdruck der Freiheit und Solidarität mit Charlie Hebdo“, so Pellerin. Zwar sei deren subversiver Humor nicht jedermanns Sache, „aber es ist absolut notwendig zu verstehen, dass dieser ein unverzichtbarer Bestandteil der Meinungs-, Presse- und künstlerischen Freiheit ist, so, wie wir sie verstehen. Das ist Teil unserer Identität, diese bewusst Grenzen überschreitende, Tabus brechende Freiheit, die mit Religionen und Symbolen spielt. Dies berührt in integraler Weise den Bereich der Meinungsfreiheit in Frankreich.“ Es sei traurig, dass einige Künstler sich nun – nach dem Charlie Hebdo-Attentat vom 7. Januar 2015 – aus Angst zu schockieren Selbstzensur übten. „Denn“ so die Ministerin, „dieses Schockieren war immer das ureigene Recht der Kunst.“

 

Der Comic sei, so Pellerin weiter, eine „zentrale Kunst und die Trumpfkarte fürs positive Ansehen Frankreichs in der Welt.“ Sie wolle dem französischen Comic helfen, in Zukunft noch stärker zu exportieren, zum Beispiel durch Übersetzungen. Außerdem kündigte Ministerin Pellerin an, zur Entlastung der Pressecomics eine eigene Ausbildungsförderung für Presseillustration in Verbindung mit dem Satireblatt „Charlie Hebdo“ zu schaffen.

Generalstände und ein „Ohne Moos nix los“-Marsch der Comic-Autoren

Aufstand der Autoren: Erstmals erhoben sich die Macher gegen soziale Mißstände - in der 1.Reihe u.a. Lewis Trondheim (Schöpfer der Festival-Wildkatze "Fauve"), André Juillard oder Penelope Bagieu... Foto: (c) Martin Frenzel / Comicoskop 2015.

Madame Pellerin, die statt zur Charlie-Platzeinweihung in die gleichnamige Ausstellung defilierte, musste sich auch äußern zu einem für Angoulême ungewohnten Massenprotest der anderen Art: Wie der Zufall es wollte, geriet der Comicoskop-Reporter genau in dem Moment mitten in den Großen (Protest-)Marsch der Comic-Autoren – angeführt u.a. von Lewis Trondheim (immerhin Schöpfer des neuen Comic-Preis-Wildkätzchens „Fauve“), André Juillard, Spirou und Fantasio-Texter Fabien Vehlmann (der später eine flammende Rede vor der Menge halten wird) und einer lächelnden Pénélope Bagieux, Christophe Arleston, Boulet et Fabrice Neaud… „Ohne Comic-Autoren keine Comics“ skandierten sie, Spruchbänder und Protestplakate in die Höhe hebend, wütend über eine für die meisten der Zunft horrend hohe Zusatzrentenabgabe der Pariser Zentralregierung. Das bringt sie, im Fahrwasser der von Comic-Texter und Buchautor Benoit Peeters schon im letzten Jahr initiierten „Generalstände“ in Angoulême, die auch diesmal wieder in Europas Comic-Hochburg par excellence tagen, buchstäblich auf die Barrikaden.

 Ein Hauch von Revolutiönchen und „Cahiers de Doléances“ (die berühmte Beschwerdehefte als Katalysator der Französischen Revolution 1789-1799) wehte durch Angoulême, der Marsch der Autoren zählte 600 Menschen, hinterließ Wirkung: Immerhin trägt die französischsprachige Comic-Branche mehr zum Bruttosozialprodukt bei als Automobilbranche bei, worauf Benoit Peeters verweist Der Comic liege in Sachen Bruttosozialprodukt immerhin landesweit auf Platz 3.… Die Teilnehmenden des ungewöhnlichen Protest-Marschs appellierten an den Staatspräsidenten Francois Hollande, dass er die Pläne eines Rentenextrabeitrags für die Comic-Autoren (und nicht nur diese) stoppen möge. Die Demonstranten befürchteten, einen kompletten Monatslohn zu verlieren, verwiesen auf den Tatbestand, dass ohnehin nur eine kleine Crème de la Crème der Comic-Schaffenden gut von ihrem Brötchenerwerb leben könne. Die Allermeisten lebten von der Hand in den Mund, manche sogar in prekären Lebensverhältnissen. Wahrlich Grund genug, auf die Barrikaden zu gehen! Viele spüren, dass man ihnen das letzte Hemd zu nehmen trachtet, obwohl die meisten ohnehin bereits finanziell auf dem Zahnfleisch gehen. Freilich: Der Marsch der Autoren spiegelt nur die Folgen jahrelanger, fahrlässiger Überproduktion wider (1994 waren es noch 700 neue Albentitel, 2014, 10 Jahre später waren es bereits über 5.000 Alben) – von 1.300 Comic-Autoren und 1.100 Comic-Zeichnern in Frankreich könnten nur etwa die Hälfte halbwegs von ihrem Beruf leben, die andere Hälfte muss darben. Benoit Peeters pointiert: „Die Situation ist mittlerweile unerträglich.“

 Zur wachsenden Verarmung der Zunft trägt die umstrittene Reform der Rentenextrabeiträge bei, die ab 1. Januar 2016 in Kraft treten soll. Das hat das Fass bei den Comic-Autoren Frankreichs zum Überlaufen gebracht. 

Immerhin kündigte Kulturministerin Pellerin später im Theater bei der Preisgala eine umfassende Studie an zur sozialen Situation der Autoren, darunter der Comic-Zunft.

 Vor dem Marsch hatten – nach dem Vorbild der französischen Revolution – die bereits im letzten Jahr ins Leben gerufenen „Generalstände“ – das Parlament der Comic-Macher – getagt, mit Initiator Benoit Peeters an der Spitze.

Große Calvin und Hobbes-Schau zum 40. Geburtstag (1985-2015)

Der Calvion und Hobbbes-Austellungsopener: Die große Bill Watterson-Schau war ein Highlight des diesjährigen Festivals. Foto: (c) Martin Frenzel (Comicoskop) 2015  

Ein Highlight dieses Festivals – die vielleicht beste Ausstellung – war die zu Ehren des Grand Prix-Preisträgers vom Vorjahr, Bill Watterson: Pünktlich zum 30jährigen Jubiläum eines der wohl besten humoristischen Zeitungscomics aller Zeiten, „Calvin und Hobbes“ (der 1985 das Licht der Welt erblickte und zehn Jahre, 1995, zum Leidwesen der Fans wieder spurlos verschwand) bekam man eine profunde Werkausstellung zu Gesicht – mit imposanten 200 Original-Seiten der Serie, die Wattersons grafische und humoristisch-narrative Meisterschaft untermauerten. Gelungen war auch eine Beigabe der Ausstellung – eine schneller Durchgang durch die US-Zeitungscomic-Geschichte (mit Originalseiten von den „Katzenjammer Kids“ (unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Wilhelm Buschs „Max und Moritz“) und dem „Yellow Kid“ bis zu Alex Raymond und Milton Caniff (mit Unterstützung des Billy Ireland Cartoon Library & Museums in Columbus, Ohio USA) und ein Film mit nahezu der gesamten US-Comic Strip-Garde, nicht zuletzt mit dem immerhin aus dem Off gesprochenen O-Tönen des auch diesmal wieder nicht das Rampenlicht suchenden Bill Watterson.

 Hoffnungen, der Meister würde sich doch noch in Angoulême blicken lassen, zerstoben schnell: Watterson blieb seiner Linie treu und ward in Angoulême nicht ein einziges Mal gesehen.

 Zwar gab es an der Qualität der präsentierten Originalseiten nichts zu meckern, wohl aber am Ort, dem Espace Franquin: Das Ambiente dieses leicht maroden 70er Jahre Kulturzentrums passte einfach nicht – und es wäre besser gewesen, die Mumin-Ausstellung dort unterzubringen und die Calvin und Hobbes-Schau in den geheiligten Hallen der Cité, also des Comic-Museums…. Der Franquin-Schuppen war jedenfalls heillos überfüllt – ein Blick aus der Nähe auf die schönen Watterson-Originale nahezu unmöglich.

 Ein anderer großer US-Amerikaner, Jack „The King“ Kirby (1917-1994), widmete man ebenfalls eine große, rund 200 Exponate zählende Ausstellung – nur fehlten hier die durchgehenden Originale. Es war ein umfassender Überblick über das Lebenswerk des „King of Comics“ – von den „Fantastischen Vier“, „Thor und „Captain America“ über die „X-Men“ bis „Kamandi“ oder „Mister Miracle“ – eine Jahrhundert-Comic-Ikone des US-Superheldengenres. Aber – und das war der Eindruck, der diesmal überwog – war es mit Kirby des Guten zu viel. Ein Eindruck, der durch die überbordende Präsenz der asiatischen Manga-Szene noch zusätzlich verstärkt wurde.

 Anders gesagt: Angoulême muss aufpassen, dass das frankobelgische Flair des Festivals nicht flöten geht. San Diego käme ebenso wenig wie den Festivals in Hongkong, auf Taiwan und in China in den Sinn, nur noch frankobelgische oder europäische Produktionen zu zeigen. Die Balance stimmte diesmal nicht (so, wie man sich umgekehrt, in früheren Jahren, ein wenig mehr Weltoffenheit gewünscht hätte, war es jetzt einfach zu viel.) 

Feiert 2015 sein 30jähriges Jubiläum: Eine der besten sophisticated humour-Comic Strips aller Zeiten - die Serie "Calvin and Hobbes" (dt. Calvin und Hobbes) von Bill Watterson.

(c) Bill Watterson

Auftritt Asien allenthalben: China, Taiwain, Hongkong, Jirô Taniguchi und Grand Prix für Akira-Altstar Katsuhiro Otomo

Ohne die große Charlie Hebdo-Schau, die ja eigentlich gar nicht auf der Agenda stand, hätte es eine asiatisch-amerikanischen Dominanz gegeben wie noch nie: Das spiegelte sich wider in zwei großen Pavillons – einer zu China, der andere mit dem Fokus auf Taiwan und Hongkong – mit sehenswerten, zum Teil überraschenden Arbeiten…

 Eher europäisch gewendet kam dagegen die 300 Exponate umfassende Werkschau Jirô Taniguchis daher, der wohl – wenn überhaupt – der geeignetere Grand Prix-Gewinner gewesen wäre. Im Vaisseau Moebius, dem ehemaligen Centre National de la Bande Dessinée et de l’Image (C.N.B.D.I.) konnte man in die wunderbare Welt des wahrscheinlich europäischsten aller japanischen Mangaka eintauchen… Wenn man so will ist Taniguchi der Sten Nadolny der Mangas: Der Entdecker der Langsamkeit. Seine langsame, insofern sehr französische Erzählweise, passt denn so gar nicht zu den High Speed-Mangas des japanischen mainstreams. Eindrucksvoll: Seine Wolfs-Geschichten, aber auch seine ausdruckstarke Meisterschaft des grafischen Erzählens wie in seiner Comic-Erzählung „Vertraute Fremde“ oder „Der Spazierende Mann“. Sehenswert auch Taniguchis Städtezyklen europäischer Städte, etwa sein detailverliebter Blick auf Venedig.

 Taniguchi bewegt sich grafisch zwischen der europäischen Ligne Claire, aber auch deutlich inspiriert durch Moebius oder Vittorio Giardano, und japanischen Meistern des 19.Jahrhunderts wie Hokusai. Die Neue Züricher Zeitung bescheinigte ihm: „Denn letztlich geht es in «Vertraute Fremde» wie in anderen Geschichten von Taniguchi um die Suche nach dem Glück, die er in einer berührenden und beglückenden Mischung aus Humanismus, Melancholie, leichter Skepsis, feinem Humor und viel Poesie schildert.“ Beim Comic-Salon Erlangen 2008 erhielt „Vertraute Fremde“ den deutschen Max-und-Moritz-Preis als Bester Manga. 2011 nahm Taniguchi den Ritterschlag zum Chevalier des Arts et des Lettres entgegen. Warum ausgerechnet der wohl darob selbst völlig überraschte Katsuhiro Otomo, Schöpfer der Manga-Saga „Akira“, aber nach eigenem Bekunden seit 10 Jahren nicht mehr comic-aktive Filmemacher den Grand Prix der Stadt einheimste – und wieder mal nicht der längst überfällige belgische, inzwischen 86jährige, immer noch jungenhaft wirkende Altmeister Hermann (Huppen) war unverständlich. Katsuhiro Otomo selbst sprach in einer Video-Botschaft: „Ich zeichne nicht mehr viel in letzter Zeit, bin insofern überrascht über den Preis. Ich war und bin in den letzten 25 Jahren – nach Akira – als Filmemacher aktiv gewesen, und habe seitdem keine Comics mehr herausgegeben. Aber dieser Preis wird eine Ermunterung für mich sein – ich habe die Absicht, wieder Comics zu zeichnen.“ 

Irgendwo konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier auf breiten Front darum ging, die lukrative Manga-Absatzmärkte Asiens zu erobern… einen derartigen Kommerz-Schub hat man lange nicht mehr in Angoulême erlebt. So gesehen war die Kür Katsuhiro Otomos eine geostrategische Entscheidung. 

Eigens aus der Volksrepublik China angereist war aus deren bedeutender Sü-Provinz Guangdong und deren Hauptstadt Guangzhou (Canton) eine offizielle Delegation angereist. Darunter befand sich auch die Crew des China International Comics Festival (CICF). Zu den Gästen aus dem Reich der Mitte gehörte u.a. Li Kunwu, dessen „La Vie chinoise“ (Ein Leben in China) nicht nur in Frankreich, sondern auch bei uns für Aufsehen sorgte (dt. bei der Edition Moderne). Sein neuestes Werk „Cicadrices“ ist gerade auf Französisch erschienen. Ebenfalls mit von der Partie: Yao Wei, eine junge chinesische Zeichnerin, ihr Kollege Yao Fei La gaben sich an der Charente während des Cannes der Comics die Ehre. Gui Huazheng alias A Gui hingegen macht sich mit Webcomics made in China einen Namen: dem Humor-Comic „Kwai Boo“. Nie Jun erhielt den Großen Preis des chinesischen Comic-Festivals von Kanton, für seinen Comic „Zobo - Les tournesols de Monsieur Vincent“ – eine augenzwinkernde Hommage an die Malkunst Vincent van Goghs und die frankobelgische Comic-Kultur. Jin Cheng wiederum ist einer derer, die nicht nur als Comic-Autor, sondern auch als Comic-Verleger agieren: Seit 1997 gibt er das Magazin „Comic Fans“ heraus – zugleich Name eines chinesischen Comic-Verlagshauses. Auch die junge manga-orientientierte chinesische Zeichnerin Xia Da war in Angoulême im China-Pavillon im Windschatten der Hergé-Porträtbüste in der Fußgängerzone von Angoulême vertreten – ihre Serie Zi Bu Yu erreichte in China Bestseller-Auflagen von drei Millionen verkauften Exemplaren.

 Aber auch die chinesischen Altmeister der „Kettenbilder“, wie Comics in China heißen, allen voran He Youzhi, der Comic-Veteran aus Shanghai, aber auch Wang Hongli und Zhang Leping, dessen Vagabund-Comicheld San Mao zur Ikone der chinesische Bildgeschichten-Tradition geriet.

 Im zweiten Asien-Pavillon „Little Asia“ (Kleines Asien) – im Innenhof des alten Schlosses der Stadt, heute das Rathaus von Angoulême – gaben sich Taiwan und die ehemalige Enklave Hongkong ein Stelldichein: So war die Insel-Republik Taiwan mit der Schau „Les étrangers à Formose“ (dt. Die Fremden auf Formosa“ (Formasa war der frühere Name für Taiwan) präsent – und sechs Repräsentanten der taiwanesischen Comic-Kultur, Li Lung-Chieh, Iron und Chang Sheng, die junge Zeichnerin Kiya Chen, Push Comic alias Ah Tui (der auf dem chinesischen Festland auf dem Festival von Guangzhou (Kanton) reüssierte) und Sean Chuang. Sean Chuang, erhielt für sein Comic-Album „80’s Diary in Taiwan“ den großen Comic-Preis von Taiwan. Ebenfalls dort untergebracht: Die Comic-Delegation aus Hongkong. Spannend zu sehen, dass hier eine Wechselwirkung zwischen West und Fernost (dank jahrzehntelanger britischer Kronkolonie) zu beobachten ist. 2011 gab es in Hongkong eine erste große Ausstellung rund um die Hongkong Comic-Geschichte. Zudem entstand hier das Comix Home Base-Zentrum, eine Art Mekka aus Comic-Künstlerateliers, Comic-Ausstellungsflächen und Comic-Fachgeschäften auf einem Fleck.


Vertane Chance: „Allemannen“ im Rahmenprogramm, aber ohne eigene Ausstellung

Wie eine Dame ohne Unterleib kam dagegen die Präsentation deutscher Comic-Kultur daher: Zwar waren einige hervorragende deutsche ZeichnerInnen präsent – wie Jens Harder, Ulli Lust und Barbara Yelin (und Mawils sehr deutsches „Kinderland“ reüssiert jetzt auch auf Französisch!) und Wolfgang J. Fuchs referierte kenntnisreich über den deutschen Comic seit 1945. Aber die Präsentation der „Allemannen“ blieb auf halbem Wege stecken: Eine zumindest kleine Überblicksschau aus Germanien – von Nick Knatterton bis Ralf König wäre überfällig. Die sehenswerte Matthias Schultheiß-Ausstellung im Theater Angoulêmes ist mittlerweile ewig her, die großartige Andreas (Martens)-Schau in kirchlichem Ambiente dagegen war zwar erst vor kurzem, aber eben doch einem Künstler gewidmet, der seine Wahlheimat seit Jahrzehnten in Frankreich/Belgien hat. Irgendwie konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Comics made in Germany eher unter ferner liefen firmierten. Schade, auf dem halben Wege steckengeblieben, eine gut gemachte Ausstellung etwa über die Generation Barbara Yellin, Ulli Lust oder Isabel Kreitz hätte dem französischen Publikum zeigen können, dass der Nachbar grafisch und erzählerisch in Sachen Comic-Kultur inzwischen mächtig aufgeholt hat.

Dämonen des Blues-Schau im Theater: Eine unverhoffte Perle

Die „Dämonen des Blues“ hieß eine Schau im Theater, die abseits des Besucherstroms – dennoch ob der engen Gemäuer-Räumlichkeiten überfüllte Ausstellung überzeugte durch Qualität rund um die Blues-Ikone Robert Johnson (1911-1938) – mit den imponierenden Schwarzweiß- und Licht- und Schatten-Arbeiten von Mezzo („Love in Vain“ bei Glénat, gemeinsam mit dem Szenaristen Jean-Mchel Dupont), Frantz Duchazeau, Altmeister Robert Crumb und Steve Cuzor.

 

Neben Mezzos opus magnum kamen auch die Comic-Exponate von Frantz Duchazeau zum Zuge, der 2008 mit der Comic-Geschichte “Rêve de Meteor Slim” ebenfalls eine grafisch-narrative Liebeserklärung an den Blues wagte (zudem mit “Lomax collecteurs de folk songs” bei Dargaud und “Blackface Banjo” beim Verlag Sarbacane).

 

Nicht minder ein Schwarz-weiß-Virtuose: Steve Cuzor, dessen Trilogie “O’Boys” (Dargaud) sich ebenfalls dem Blues und der Südstaaten-Atmosphäre widmet. Unvergleichlich: Altmeister Robert Crumb, Jahrgang 1943, dessen Geschichten ohne die Liebe zum Blues nicht denkbar wären – und die eine schallende Ohrfeige darstellen für den Rassismus es Ku-Klux Klan.

Spannend war auch die Schau zu Ehren des Vieltexters historisch-politischer Comic-Erzählungen Fabien Nury (geb. 1976), der mit seinen Comic-Zeichnern inzwischen ein beeindruckendes Universum geschaffen hat. Auf Deutsch ist in „Zack“ etwa die von ihm getextete Serie „Il était une fois en France“ (dt. Es war einmal in Frankreich) erschienen (Zeichnungen: Sylvain Vallé). Serien wie W.E.S.T. oder auch „La Mort de Staline - Une histoire vraie… soviétique“ (mit dem großartigen Zeichner Thierry Robin) beweisen Nurys Sinn für spannende historisch-politische Stoffe und zeigen auch sein glückliches Händchen, sich dabei jeweils mit dem richtigen Zeichner zusammenzutun.

Eher enttäuschend: Die Schau des Couleur Directe-Künstler Alex Barbier im schönen Hôtel Saint-Simon, der eher am äußersten Rande der Comic-Erzählung in artifiziellen, der Bildenden Kunst entliehenen Sphären agiert. Kein Vergleich zur fulminanten Jean-Claude Denis-Schau an gleicher Stelle vor zwei Jahren oder jener zu Ehren des grandiosen Comic-Poeten und „Philémon“-Erfinder Fred.

Fehlanzeige: "Fluide Glacial" feierte 40. - eine Präsentation fiel aus

Cover zum 40. Jubiläum - eigenwillige Reminiszenz an Hergés "Blauer Lotus"...(c) Fluide Glacial

Bemerkenswert: Stell Dir vor, eine andere Comic-Satirezeitschrift, „Fluide Glacial“, feiert ihren 40.Bestehen und kaum einer merkt’s am Festivalprogramm – eine Ausstellung zu Ehren Gotlibs, Alexis‘ & Co. Wäre mehr als angebracht gewesen (statt manch anderer wie z.B. der absolut verzichtbaren enttäuschenden, da äußerst kümmerlichen Asterix-Präsentation) und hätte, nebenbei bemerkt, gut zur Charlie Hebdo-Schau gepasst. Zwar feierte sich das Magazin selbst mit einer Anti-China-Kampagne und Hergé-Persiflage auf den „Blauen Lotus“, aber eine Ausstellung zu dieser wichtigen, mittlerweile legendären Zeitschrift und ihren Machern suchte man vergeblich. Was 1975 begann, hat immerhin neben den Gründungs-Heroen Gotlib (Gai-Luron, Rubrique-à-Braque, Superdupont, Hamster Fidel und seine Wölfchen) und Alexis (1946-1977; „Superdupont“, Westernserie „Al Crane“) Zeichner wie Édika und Daniel Goossens, aber auch Christian Binet, Carlos Giménez, Jean-Marc Lelong (Carmen Cru) und Maëster (Sœur Marie-Thérèse des Batignolles), aber auch jüngere Künstler wie Manu Larcenet hervorgebracht – über einhundert Zeichner insgesamt. Nicht zu vergessen veröffentlichte Altmeister André Franquin eben in jenem Magazin „Fluide Glacial“ von 1977 bis 1983 seine Furore machenden „Schwarzen Gedanken“. Marcel Gotlib (geb. 1934, mittlerweile 80 Jahre alt und eine lebende Legende wie Cabu und Wolinski), Sohn eines rumänisch-jüdischen Vaters (der im Todeslager Buchenwald ermordet wurde) und einer ungarisch-jüdischen Mutter (die den Holocaust knapp überlebte), einst hervorgegangen aus der Garde der jungen Wilden um Goscinnys „Pilote“ und Herausgeber des Magazins „L’Echo des Savanes“, schuf mit seinen Mitstreitern mit diesem Periodikum eine Plattform des skurrilen, abgedrehten und chaotischen Humors, ganz in der „MAD“-Tradition von Don Martin und Harvey Kurtzman – mit jede Menge Chuzpe und Mutterwitz.

"Fluide Glacial"-Gründer und Satire-Legende Marcel Gotlib (c) Foto: Siren Com

Comic als Objekt der Schönen Kunst-Begierde

Das Kunstmagazin Beaux Arts edierte – übrigens zum wiederholten Mal – ein gelungenes Sonderheft der grafisch-erzählerisch gehobenen Comic-Meisterwerke: Mit von der Partie in der Beaux-Arts Themenausgabe „Les secrets des chefs-d'œuvre de la BD“ (dr. Die Geheimnisse der Meisterwerke des Comics“; Dez. 2014) Hergé, Edgar Pierre Jacobs, und Art Spiegelman, aber auch Jacques Tardi, Hugo Pratt, Joann Sfar, René Goscinny und Jacques Martin…

Kanadische Wildnis in Südwestfrankreich: Regis Loisel/Tripp verbreiten „Nest“-Wärme

Nest-Wärme dank kanadischer Wildnis: Das Autorenduo Regis Loisel/Jean-Louis Tripp im Podiumsgespräch... Foto: (c) Martin Frenzel (Comicoskop) 2015

Im Franquin-Kulturzentrum plauderten zwei Giganten der frankobelgischen Comic-Produktion Regis Loisel (mittlerweile 63 Jahre alt, aber noch immer ein sympathisch-sponrtaner Freigeist) und Jean-Louis Tripp (Jg. 1958) über die kanadische Wildnis, ihre Saga „Das Nest“ (frz. Magasin General) und über die Frage, wer eigentlich, was macht. Freilich erst, nachdem man das Publikum erstmal eine geschlagene Stunde hatte warten lassen. Wohl, weil die beiden erstmal ausschlafen wollten. Aber das Warten lohnte sich: Darin sind die Franzosen ja Meister – sie zeichnen und erzählen ihre Comics nicht nur unverschämt gut, sie können darüber auch stundenlang wortreich plaudern. Nicht ganz unzutreffend war denn auch die Bemerkung Tripps, er sei eher der intellektuelle, alles durchdenkende Kopfmensch, während Loisel eher intuitiv-brillant aus dem Bauch heraus agiere. Gemeinsam entwickeln Loisel (bekannt durch seine legendäre Fantasyserie „Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit und Peter Pan) und Tripp diese Serie um die junge Marie, die nach dem Tod ihres Mannes einen kleinen Gemischtwarenladen allein in dem fiktiven Dorfes Notre Dame du Lac in der kanadischen Provinz Quebec während der 1920er Jahre weiterführt. Marie führt ein hartes Leben in den 1920er Jahren in der kanadischen Provinz, gleichwohl ist sie als Besitzerin des kleinen Ladens sie eine der wichtigsten Personen in der Gemeinde. Die Albenreihe „Das Nest“ liegt im Original inzwischen mit neun Alben vor, auf Deutsch sind 6 Alben bei Carlsen erschienen. Loisel ist eher der Mann, der die Hintergründe zeichnet und recherchiert, Tripp derjenige, der sich den Figuren und der Personenzeichnung widmet – beide arbeiten sie sowohl an den ausgefeilten Zeichnungen als auch gemeinschaftlich am Szenario. „Das Wichtigste in ‚Magasin Général‘ (Dt. Das Nest) sind zwei Dinge: Die Zeit und die Stille“, formuliert Tripp das Credo der bemerkenswerten grafischen Novelle. Tripp machte sich in den 1980er Jahren einen Namen als Zeichner politischer Abenteuercomics nicht zuletzt zum Thema Apartheid einen Namen – Arbeiten wie „Soviet Zig Zag“ zusammen mit Marc Barcelo, Milan, 1986 (dt. Soviet Zig Zag. Edition Moderne, 1990), „Zoulou Blues” (1987; dt. Zoulou Blues. Edition Moderne, 1991) und „Afrikaans bazaar“ (erschienen deutsch bei der Züricher Edition Moderne). Heute arbeitet Tripp im Hauptberuf als Professor für Kunst an der Universität Quebec (Kanada). Freilich: „Das Nest“ wird nicht fortgeführt – ist nunmehr in sich abgeschlossen.  

Blutch und Francois Boucq geben sich ein Stelldichein

Auch zwei andere herausragende Vertreter der frankobelgischen Comic-Kunst gaben sich in Angoulême in den Tables Rondes ein Stelldichein: Zum einen Blutch (geb. 1967, 2009 Grand Prix von Angoulême), der u.a. mit Blotch. Der König von Paris (Avant-Verlag) Furore machte und dessen Lune L'Envers neu 2014 bei Dargaud erschien, und Francois Boucq, der 2015 seinen 60. Geburtstag feiert, sprach über sein neues Meisterwerk „Little Tullip“ (erschienen bei Lombard): Erstmals nach 25 Jahren ist Boucq wieder mit seinem Stammtexter der 1980er Jahre, Jérôme Charyn, zugange. Manch einer erinnert sich positiv „La Femme du magicien“ (dt.: „Die Frau des Magiers“) und vor allem auch den Gulag-Thriller „Bouche du Diable“ (dt.: „Teufelsmaul“). Die Arbeiten des Duos gehörten in den 1980er Jahren zu den besten Autorencomics für Erwachsene überhaupt. 1998 erhielt Boucq für sein Lebenswerk den begehrten Grand Prix von Angoulême. An diese Gulag-Erzählungen knüpft das Duo Boucq/Charyn nun wieder an: Der ganzkörpertätowierte Antiheld der neuen Comic-Trilogie (2 Bände folgen noch) überlebt die Hölle des Gulags, ein düsterer, gewaltgeladener und beklemmender Polit-Thriller.

Concert de Dessin - Gezeichnete Konzerte

Ein musikalisches Highlight bildeten die sogenannten „Concerts de Dessin“ (gezeichneten Konzerte), die Musik und Comiczeichnen im Theater kongenial kombinierten: Diese Konzerte, u.a, mit Loisel und Tripp sorgten für ein Klang- und Seherlebnis gleichermaßen.

Samstagnacht: Die lange „Tintin“ (Tim und Struppi“)-Nacht

Ein visuelles Erlebnis waren auch zwei gelungene, kenntnisreiche Dokumentationen über Hergés beide Tintin (Tim und Struppi)-Klassiker „Der Blaue Lotus“ und „Tim in Tibet“.

Ein weiterer Film über Hergé zeigte, wie sehr der Meister von Natur- und Land-Sehnsüchten geprägt war, was wiederum in sein Werk einfloss.

Ohne seine Rückzüge in die unberührte, freie Natur wäre Hergé wohl nicht in der Lage gewesen, seinen zur Qual werdenden Dauerbrenner „Tintin“ jahrzehntelang fortzuführen. Zudem verkündete der Nachlassverwalter Moulinsart an dieser langen Tintin-Nacht, man habe nun die Erlaubnis für einen Herge-Dokumentation erteilt. So wird die Trickfilmfirma Normaal, die u.a. zwei Animationsstudios in Angoulême ihr eigen nennt und ebenfalls in Paris vertreten ist, mit dem vertraglichen Segen von Moulinsart ein aninmierte neue Doku-Fiktion rund um Hergé, sein Leben, seine Figuren (nicht nur Tim und Struppi) produzieren. Es sollen so je drei 53-Minuten „Zeichentrick-Dokufiktionen“ entstehen, die aber ausdrücklich nicht Tintin-Abenteuer nachempfinden, sondern sich dem Universum Hergés und seiner Person als Ganzes nähern sollen, also auch seinen weniger bekannten Serien wie „Quick et Flupke“ und „ Jo, Zette et Jocko“. Ausgestrahlt werden die fiktiven Trickfilm-Dokus in Bälde im französischen Fernsehen. Die Normaal-Studios sind in Sachen Comic-Trickfilmadaptionen nicht unerfahren: So setzten sie bereits Franquins „Gaston Lagaffe“ und Charles M. Schulz Snoopy aus den „Peanuts“ in bewegte Bilder um.

Neuer Finanz-Politik-Thriller bei Dargaud

Der eigens nach Angoulême angereiste Schriftsteller und Investigative Enthüllungsjournalist Denis Robert hat seine angesichts der weltweiten Finanzkrise brandeaktuellen Enthüllungsreportagen über schmutzige Geldgeschäfte, Steuerpradiese und organisiertes Finanzkriminalität in einen packenden Finanz-Politik-Thriller in Comic-Form übertragen. Der Autor kam nach Angoulême, um die bei Dargaud erschiene Gesamtausgabe des vierbändigen gelungenen, spannenden Comic-Zyklus‘ „L‘Affaire des Affaires“ („Die Affäre der Affären“) zu präsentieren. Zeichner der Comicadaption der Causa Clearstream ist Laurent Astier. Der Comic-Zyklus kommt hoffentlich bald auch in deutscher Sprache heraus.

Wie Comic-Wandmalereien das Stadtbild prägen: Philippe Druillet neu dabei

Meister der bizarren SF-Sagas: Philippe Druillet, legendärer "Métal Hurlant"-Mitbegründer, prangt nun auch einer Häuserwand im Stadtbild Angoulêmes. Foto: (c) Martin Frenzel (Comicoskop) 2015

Angoulême ist mittlerweile eine Stadt der bemalten Comic-Fresken: Auf Schritt und Tritt begegnet man ihnen in der auf einem Berg liegenden, daher viel steiles Auf und Ab kennenden Zitadellenstadt an der Charente… sei es romantisch wie im Falle von Yslaires „Sambre“, sei es historisch wie im Falle André Juillards oder humoristisch wie im Falle von Zeps „Titeufs“. Sehr gelungen auch eine überdimensional bemalte Häuserwand nach einem stimmungsvoll-südfranzösisch anmutenden, prallen Max Cabanes-Motiv – auf das man versonnen blicken und genießen kann. Ganz im neu im Reigen der Comic-Hauswände: Die neue Arbeit des „Métal Hurlant“-Altstars Philippe Druillet in der rue de Montmoreau (an der Kreuzung zum Boulevard Winston Churchill). Ein Wandbild, das Druillets Ruf als Schöpfer beklemmender Science Fiction-Horrorabgründe und grotesk verzerrter, beklemmender Grafik auch hier alle Ehre macht.

Die Preisträger des „Fauve“-Preisreigens 2015

Bastien Vivès und sein Team: Gewinner dank des Manga en francais "Last Man" / Foto: (c) Martin Frenzel (Comicoskop) 2015

Zum besten Comic-Album des Jahres mit einem Goldenen „Fauve“ wurde zu Recht Riad Sattoufs autobiografische Saga „L’Arab Futur“ (Der Araber der Zukunft, dt. beim Knaus-Verlag, siehe COMICOSKOP-Comic des Monats März 2015) gekürt. Ein Spezialpreis der Jury ging an Chris Wares für seine „Building Stories“ (auf Französisch erschienen bei Delcourt). Die „Fauve“ für die beste Comic-Serie heimsten Balak, Mickaël Sanlaville und kein Geringerer als Shooting Star Bastien Vivès (Jg. 1984; „Der Geschmack von Chlor“, „In meinen Augen“, „Polina“) für ihre französische Manga-Antwort „Lastman“ (Band 6) ein, die bei Casterman erschienen ist und sofort Furore machte. Die Fauve der kulturellen Öffentlichkeit ging mit Recht an „Les Vieux fourneaux“ (Band 1) – Untertitel: „Ceux qui restent“ – aus der Feder von Wilfrid Lupano und Paul Cauuet – erschienen bei Dargaud.

 

Die Fauve für den besten Jugendcomic fiel an „Les Royaumes du Nord“ (Band 1) – von Clément Oubrerie und Stéphane Melchior (Verlag: Gallimard). Daneben gab es zahlreiche weitere Preiskategorien, die alle zeigen: Angoulême gilt nach wie vor als die mit weitem Abstand führende Nummer Eins unter Europas Comic-Festivals.

 

Dass der Trend zu mehr Kommerz und Marketing geht, war bereits auf diesem Festival deutlich zu spüren, wäre da nicht das unvorhergesehene Ereignis „Charlie Hebdo“ gewesen, dass die Veranstalter jäh und außerplanmäßig zwang, sich auf die geschichtsträchtige, per se subversive und systemkritische, alles andere als obrigkeitshörige Kunst der Comic-Satire zu besinnen und damit Tiefgang zu beweisen. Zu diesem besorgniserregenden Trend passt, was jetzt bekannt wurde: Demnach sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre 50 Prozent des Festivals privatisiert und an den privaten Festival-Veranstalter „9e Art+“ gehen. Zu hoffen bleibt, dass das, was Angoulême immer ausgezeichnet hat, die ausgeklügelte Balance zwischen Kunst und kommerziellen Kaufmannsinteressen, auch in Zukunft erhalten bleibt – und nicht durch merkantile Winkelzüge aus den Fugen gerät. So furchtbar es klingt: Das Attentat rettet Angoulême am Ende davor, ein reines, kommerz-orientiertes Schaulaufen des lukrativen Asien- und Amerika-Märkte zu veranstalten.

Preisgala im Theater zu Angoulême: Die Siegerparade zum Finale... in der Mitte (im roten Hemd): Der glückliche "Der Araber der Zukunft"-.Schöpfer Riad Satouf... Foto: (c) Martin Frenzel (Comicoskop) 2015


Die große, außerplanmäßige und über Nacht entstandene, gar nicht im gedruckten Programm stehende Charlie Hebdo-Ausstellung bewies französischen Eigensinn, also das, wofür Angoulême zu Recht zur europäischen Comic-Hauptstadt avancierte. Ach ja, der Pinguin Alfred von Saint-Ogan wirkte doch ungleich charmanter als die Trondheimsche Wildkatze „Fauve“. Back tot he roots: Warum, um Himmels willen, nicht zum guten, alten Pinguin Saint-Ogan’scher Prägung zurückkehren? Egal, ob künftig mit Wildkatzen-, Pinguin-, Charlie- oder Alphakunst-Preisen: Angoulême muss aufpassen, dass es seinen Charme und Eigensinn nicht verliert.

 

Dank: Ich danke meiner Schwester Sophie Frenzel, ohne deren Energie und Elan ich diese Angoulême-Reise wohl gar nicht erst unternommen hätte. Meiner Familie danke ich für die Unterstützung.

 

Comicoskop-Herausgeber und -Chefredakteur Martin Frenzel: Seit fast 30 Jahren regelmäßig auf dem Internationalen Comic-Festival von Angoulême (1986 erstmals). Damals 1986 schrieb er für die Berliner "TAZ" und das Wiener "Comic Forum", heute fürs digitale COMICOSKOP.

Angoulême 2015 huldigt "Calvin und Hobbes"-Schöpfer Bill Watterson, Charlie Hebdo und dem Akira-Schöpfer Katsuhiro Otomo

Europas wichtigstes Comic-Festival bildet den furiosen Auftakt zum Comic-Jahr 2015 / Zahlreiche Ausstellungen und ein Mamutprogramm / Über 200.000 Besucher in Südwestfrankreich erwartet / Ausstellungen u.a. mit dem Werk des japanischen Mangaka Jirô Taniguchi, Jack "the King" Kirby, Tove Janssons "Mumins", Fabien Nury und Alex Barbier 

 (c) Bill Waterson / Festival International de la Bande Dessinée

(c) Libération

Spezialausgabe der französischen Tageszeitung "Libération" zum Comic-Festival Angoulême, 29. Januar 2015.

Deutschlands Comic-Mekka feierte 30jähriges Bestehen

Der Erlanger Comic-Salon 2014 widmete sich dem 1. Weltkrkieg und dem großen Jacques Tardi / Max-und-Moritz-Preise: / Walt Kelly, Deutsche Comics seit Wilhelm Busch und Emile Bravo im Blickkpunkt sehenswerter Werkschauen

Der erste Max-und-Moritz-Preis von 1984 - Erlanger Premiere:  Dik Browne (2.v.r.) umringt von Svante Setterblad (Bulls Pressedienst-Geschäftsführer seinerzeit), Chris Scheuer (mit Max-und-Moritz-Brot) und Eckart Sackmann (damals Carlsen Verlag). Foto: Bernd Böhner / Mit freundl. Genehmigung des Kulturprojektbüros der Stadt Erlangen

"Hägar"-Zeichner Chris Browne: Exklusiv-Grußwort zum 30jährigen Erlanger Jubiläums-Salon

"All my Best Viking Wishes: Welcome Back to the Erlangen Comic-Salon!"

Exklusives Grußwort des ersten Max-und-Moritz-Preisträgers 1984 (Kategorie Comic Strip/Zeitungscomic): HÄGAR-Zeichner Chris Browne für das Publikationsprojekt Martin Frenzels „30 Jahre Comic-Kultur für alle“:


By Chris Browne (Zeichner des Zeitungscomics „HÄGAR”)


BOOM! BANG! POW! There should be fireworks, bright and vibrant rainbow explosions in the night sky over Erlangen!

THIS YEAR is the 30th anniversary of the Erlangen Comic Salon.

THIRTY YEARS!! How is that possible? My father, Dik Browne (the REAL Hagar the Horrible) was thrilled to be the recipient of the very first Max und Moritz prize at the very first Salon. Alas, my mother was terribly ill and he could not leave her side. So my future bride, Carroll, and I made the journey instead. I had contributed many gags to the strip and had helped my father write the Hagar The Horrible Viking Handbook so I felt somewhat justified in drinking copious amounts of frosty beer in the Erlangen Salon’s Beer Garden.

I was interviewed by a cartoonist from Germany’s edition of Mad Magazine. He was funnier than I was and he had curly hair like a sheep! We chatted, drank and drew cartoons in each other’s sketchbooks. I loved it.

Shortly thereafter I met the Mayor of Erlangen and he was especially jovial and charming. I tried to converse with my extremely limited high school German but finally had to surrender. There were just two many words and they were leaping out of everyone’s mouths like gazelles. Thankfully almost everyone we met in Erlangen spoke English (some better than we do).

Carroll and I met many charming people. Our host that week was Svante Setterblad along with his son, Johan. Svante was an incredibly charismatic and charming person who could easily have been a James Bond type matinee idol. In reality, he was the President of Bulls Pressedienst, the media company that represents Hagar and so many other comic features in Germany. And of course,

there were parties as well. We sat with him at sidewalk cafes and rode on streetcars. He showed us all the sights and accompanied us to all the events. I remember there was a soiree to honor the cartoonists in a castle. I met the very talented Austrian graphic artist Chris Scheuer and the bold and brave comic artist and publisher Achim Schnurrer! And the charming and energetic Karl Manfred Fischer and Lisa Puyplat without whom this magical festival would not have existed… the cool stone walls of the castle crackled with the electricity of so many talented young people.

I wore one of the many tiny Viking helmets that seemed to be everywhere at the salon. In one photo, I held a small child up in the air. I probably couldn’t do that now, because I am now 62 years old and the child is probably about 34 and probably weighs bout 150 pounds now. We met many cartoonists, fans and journalists.

Carroll and I had a wonderful adventure together in Germany and have been back a few times since. My brothers and sisters at Bulls Press who so ably represent Hagar and many other lucky comic strips there have always made us very welcome in our travels there.

When were returned home (and home back then was in Sarasota, Florida, land of palm trees and alligators), we presented the Max and Moritz prize to my father.

His gentle eyes glistened as be beheld the shimmering silver disk, the pearl of great price we had crossed oceans to return to him. He was very moved and grateful that the world had noticed his works as far away as Erlangen.

Although my father didn’t get to see a lot of the world, his creations, Hagar and myself, were happy to represent his Viking spirit all those years ago in beautiful Erlangen. I sincerely hope I can return there someday in person, to thank you all in person. I’ll buy the beer!

All my best Viking wishes,

 

Chris Browne

 

Hagar the Horrible studio

Sioux Falls, South Dakota, USA

May 22, 2014

 

© Martin Frenzel / Comicoskop 2014. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck gern, aber mit Quellenangabe.


Neuerscheinung im Juni 2014: Martin Frenzels neue, 48seitige ehrenamtliche Previewbrochüre "30 Jahre Comic-Kultur für alle" zum Erlanger Comic-Salon-Jubiläum - im Herbst 2014 folgt das ca. 200seitige Buch... Cover: Ingo Milton
Neuerscheinung im Juni 2014: Martin Frenzels neue, 48seitige ehrenamtliche Previewbrochüre "30 Jahre Comic-Kultur für alle" zum Erlanger Comic-Salon-Jubiläum - im Herbst 2014 folgt das ca. 200seitige Buch... Cover: Ingo Milton
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