Unabhängiges E-Fachmagazin für Comic-Kultur & Bildgeschichte

Herausgegeben und gegründet von Martin Frenzel                      Online seit Dezember 2014

Comicoskop-Nachruf

Nachruf auf einen Ausnahmekünstler:

Darwyn Cooke (1962–2016): Ein Magier der Comics

Ein Nekrolog von  COMICOSKOP-Redakteur Tillmann Courth

Darwyn Cooke, verstorben im Alter von 53 Jahren

Wenig hat die internationale Comicszene dieses Jahr so

erschüttert wie der unerwartete Krebstod von Darwyn Cooke im Mai 2016. Ein kleiner Trost (und ein schönes Gedenken) ist die Herausgabe gleich zweier Bücher mit seinen Werken: Der Sammelband seines Hauptwerks DC: THE NEW FRONTIER (das er auch geschrieben hat, mit interessanten Kommentaren des Autors) sowie der berauschend schöne Hardcoverband GRAPHIC INK – THE DC COMICS ART OF DARWYN COOKE. Beide noch zu seinen Lebzeiten konzipiert.

Dazu später; schauen wir erst zurück: In den  1990er Jahren war Cooke Storyboard-Zeichner für die Trickfilmserien BATMAN ANIMATED, SUPERMAN ANIMATED sowie MEN IN BLACK.

Kein Wunder, dass seine Comics so reduziert und cartoonesk wirken. 

Superman im Alltagseinsatz – © DC Comics

Um das Jahr 2000 herum probierte sich Cooke mit

vereinzelten Beiträgen auf dem Feld der Comics aus (u.a. WOLVERINE und  X-FORCE). Das scheinbar mühelos

Hingetuschte war sein Markenzeichen. Sowie seine Liebe zum stylishen Look der 1950er und 60er-Jahre.

Cooke hat den zeitgenössisch düsteren Superheldencomic wieder „aufgehellt“ und  ans Tageslicht gezerrt.

Die Szene wurde aufmerksam, als er 2001 mit Autor Ed

Brubaker der Figur CATWOMAN neues Leben einhauchte. Eine Figur, der Cookes Stil perfekt zupass  kam. Dynamisch, dennoch leichtfüßig – und stets ein wenig verspielt.

Cookes „Opus magnum“ folgte dann 2004 mit DC: THE

NEW FRONTIER, eine Serie, die er nicht nur zeichnete, sondern auch schrieb (man muss es nochmal betonen). Dafür heimste er einen Eisner-, einen Harvey- und einen Shuster-Award ein. Völlig zu Recht.

Superheroes Forever

Auf 400 Seiten breitet Cooke seine Sicht der DC-Superhelden aus. Und das ist durchaus episch zu nennen. Wir springen durch

die Jahre, mit verschiedenen Figuren und über diverse Schauplätze, ohne zunächst  einen Zusammenhang zu erahnen.

Da kämpfen die „Losers“ unter Rick Flagg gegen Dinosaurier auf einer verschollenen Insel, da wird Hal Jordan zum Jetpiloten ausgebildet und im Koreakrieg traumatisiert, da lebt der Marsianer J’onn J’onnz als Detektiv undercover in Gotham und trifft auf Batman, da wird Wonder Woman von der US-Regierung in ihre Heimat abgeschoben, da rettet der Flash seine Freundin vor dem irren Captain Cold, da formieren sich die „Challengers of the Unknown“, und die neugegründete NASA verfolgt ein geheimes Projekt!

All diese (übrigens meisterlich gehandhabten) Erzählstränge greifen spät, sehr spät (so etwa Seite 300) ineinander und kulminieren im Showdown gegen eine außerirdische Bedrohung, die die Erde zu vernichten droht.

Gleichzeitig entwirft Cooke ein faszinierendes Panorama der

Jahre 1945–1959, bringt uns dabei nicht nur seine Lesart des Heldentums nahe, sondern auch Appelle gegen Rassismus unter (leider immer noch aktuell). Der berührendste Charakter in NEW FRONTIER ist der Afroamerikaner John Wilson, der als maskierter Rächer „John Henry“ gegen den mörderischen Ku-Kux-Klan vorgeht.

Umschlagillustration für NEW FRONTIER – © DC Comics

Cooke kommentiert sein Gesamtkunstwerk aufschlussreich auf 15 Seiten im Anhang und widmet das Heft Nr. 1 den Zeichnern Joe Kubert, Harvey Kurtzman und Alex Toth. Man sieht

diesem Comic an, dass er von diesen „alten Meistern“ beeinflusst ist. Es finden sich übrigens Bildzitate von allen dreien in DC: NEW FRONTIER.

Von Toth hat Cooke die Akribie der Bildeinstellung, die

Positionierung seiner grafischen Kamera sowie den waghalsigen Erzählfluss übernommen. Von Kurtzman kommt die Fertigkeit, Energie auf Papier zu übertragen. Wenige, kräftige, klare Striche entfesseln eine Dynamik, die einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Das konnten nur Kirby, Kurtzman und Cooke. Das Auge des Betrachters verweilt aufmerksam auf solchen Seiten, weil ein schwer beschreiblicher Zauber von ihnen ausgeht.

Hier PASSIERT im Auge des Betrachters mehr als auf einer überfüllten, mit Details überbordenden Seite (die einem sonst gern als moderner Comic verkauft wird). Es ist das Wunder der Reduktion und Abstraktion, was hier waltet, im Zusammenspiel mit einer Meisterschaft im grafischen Erzählen. Cooke fabriziert

keine Schnörkel, jeder seiner Striche ist sinnvoll gesetzt. 

Cookes Markenzeichen: Viel Dynamik mit wenig Strichen – © DC Comics

2007 wagte sich Cooke an eine neue Version des Klassikers THE SPIRIT sowie das vorausgegangene Crossover BATMAN/ THE SPIRIT (weiterer Eisner-Award).

Cookes Spätwerk sind die meisterlichen Adaptionen mehrerer Krimiromane der „Parker“-Reihe von Donald E. Westlake alias Richard Stark. Zwischen 2009 und 2013 erschienen vier Bände - PARKER: THE HUNTER, PARKER: THE OUTFIT, PARKER: THE SCORE und PARKER: SLAYGROUND.

Hier reduziert Cooke seinen Strich auf das Allernötigste,

ohne dabei geizig zu wirken. Dies sind mehr Graphic Novels als Comics, dennoch Meisterwerke (sagt ein eingefleischter Graphic-Novels-Gegner). Die PARKER-Serie

steht in der Tradition von Howard Chaykins THE STARS MY DESTINATION oder Jim Sterankos CHANDLER. Doch nur Cooke entfacht in seinem Bildroman Feuer, denn absolut berückend treibt er die Handlung grafisch voran. Er breitet keine

Tableaus aus (oder nur sehr wenige), sondern jagt uns mit vielen kleinen Bildern über die nur einfarbig kolorierten Seiten (schicker Trick).

In seinen PARKER-Werken wird Cooke minimalistisch – © IDW Publishing

Comics können glücklich machen!

Fast alle Comiczeichner sind „nur“ Illustratoren,

meint: Sie bilden ein Geschehen ab, sie bereiten eine grafische Bühne. Das kann wundervoll sein und hat alle Berechtigung der Welt. Ihre Kunst aber behält immer eine gewisse selbstgewählte Distanz zum Leser. Cooke hatte die Gabe, seine Leser augenblicklich zu faszinieren (und vor allem: für die Geschichte zu interessieren). Er war kein Prahler, kein „L’art pour l’art“-Schnösel, der uns mit stilistischem Schnickschnack blenden will. Seine Comics werden lebendig und letztlich unvergesslich.

Cooke gehörte zu den Ausnahmetalenten, den Meistern des Mediums, die ihre Geschichten nicht nur abbilden, sondern die Leser durch ihren Rhythmus, ihren Schnitt und ihre

bilderzählerische Vision mit hineinziehen: Eisner, Franquin, Hermann – und Darwyn Cooke.

Beispielseite aus Cookes SPIRIT – © DC Comics

 Das Traurige ist, dass Cooke im Zenit seines Schaffens

dem Krebs zum Opfer fiel. Seine Beiträge zum Medium Comic sind so zahlreich nicht – und man könnte depressiv bei dem Gedanken werden, was er noch alles hätte illustrieren können.

Ein Nachruf in der „Washington Post“ kam zum Fazit:

Cookes Arbeiten machten seine Leser glücklich. Hier waltete noch die Magie der Comics, die einen für dieses

Medium entflammen kann.“ Dem schließen wir uns voll und ganz an.

Und jetzt kommt die Werbung: Kaufen Sie sich den 420

Seiten fetten (englischen!) Hardcoverband GRAPHIC INK – THE DC COMICS ART OF DARWYN COOKE. Er ist berauschend schön und präsentiert Cooke in seinem kompletten Spektrum. Der hier schreibende COMICOSKOP-Rezensent verrät mal, was drin ist: Neben Dutzenden von Seiten mit seinen Covern auch etliche doppelseitig hochgezogene Einzelpanels UND (jetzt kommt’s) eine Handvoll ganzer Geschichten! 

Auswahl meiner Favoriten: 

„Here Be Monsters!“ aus BATMAN: GOTHAM KNIGHTS, „Doctor Fate“ aus JSL ALL-STARS, „The Greater Good“ aus NEW FRONTIER SPECIAL, “The Phantom Quarterback” aus SUPERMAN (von Stan Lee getextet!), “Flight” aus GREEN LANTERN SECRET FILES, “Armistice Night” aus den WEIRD WAR TALES, “Times Past: 1944” aus SHADE, “Killin’ Time” aus dem HARLEY QUINN HOLIDAY SPECIAL sowie drei der JONAH HEX-Abenteuer, für die Cooke seinen Stil in Richtung John Severin/ Jean Giraud

anpasste (laut Selbstaussage aus seinem Vorwort).

Es ist der Hammer. Dieses Buch ist ganz oben auf meiner Liste der Comic-Veröffentlichungen des Jahres. Fast schade, dass GRAPHIC INK nichts von seiner Krimiserie PARKER zeigt oder vom SPIRIT (abgesehen von den Titelbildern, die

jedes für sich einen speziellen Aspekt von Hommage an Eisner präsentieren). Aber diese Werke sind ja noch im Druck und somit erhältlich.                                                                                TIC

Perfekte Hommage an den Künstler ist diese „Werkschau“ – © DC Comics

COMICOSKOP-Redakteur und -US-Comickenner Tillmann Courth stolperte erst 2015 über den Namen Darwyn Cooke.

Seine PARKER-Adaptionen erregten sein Interesse. Als bekennender Superheldenhasser gesteht Courth, dass ihn DC: THE NEW FRONTIER absolut gefesselt hat. Dieses

Werk ist eine tolle Einführung in den DC-Kosmos und die „Ideologie“ des Superheldentums.

Für seine JONAH HEX-Western verschiebt Cooke seinen Stil in Richtung Realismus – © DC Comics

Loading

Kontakt:

Comicoskop-Redaktion

c/o z.Hd. Martin Frenzel

Heidenreich- str.39

64287 Darmstadt

Mail: redaktion

@comicoskop.com oder martin.

frenzel@

comicoskop.com