Widerstreit der Gefühle, zwischen Wert und Werten, mit
Beginn des Nazi-Regimes in Deutschland: „Die ehrgeizige Irmina reist
Mitte der 1930er Jahre nach London, um eine Ausbildung zur
Fremdsprachensekretärin zu beginnen. Dort lernt sie Howard aus der Karibik
kennen, dem sie sich im Streben nach einem selbstbestimmten Leben verbunden
fühlt. Durch den klugen und zielstrebigen Oxfordstudenten beginnt Irmina
ihren Blick auf die Welt zu öffnen.
Doch findet ihre Beziehung ein jähes Ende, als Irmina, bedrängt durch die politische Situation, nach Berlin zurückkehrt. Im nationalsozialistischen Deutschland steht sie vor der Möglichkeit, den erstrebten Wohlstand endlich zu erlangen, wenn sie dafür die verbrecherische Ideologie des Regimes nicht infrage stellt.“ Dass rassistische Tendenzen durchaus auch im durch Jahrhunderte dauernden Kolonialismus geprägten Großbritannien quasi Alltag ist, auch das zeigt diese Graphic Novel. Genauso wie das starke Lebendigsein einer „braunen Gefolgschaft“ in England (die
blackshirts). Hin und her gerissen zwischen dem Verteidigen der Heimat (eigentlich weniger der Nazis …) und dem scheinbar freien Leben fern davon, entscheidet sie sich zunächst zum Bleiben, trotz widriger Umstände – und dann doch dafür, wieder nach Deutschland zu gehen. Dort folgt sie dem Drängen ihrer Familie, heiratet einen Nazi und beugt sich dessen Diktat zur Mutterschaft, das jenes eben der Ideologie ist.
Wenn sie auch nach Ende Krieges im neuen Deutschland wieder berufstätig wird, bleibt sie, was sie auch vorher war: Mitläuferin … Und wenn Irmina am Ende der Geschichte „Ihren“ Howard wieder trifft, inzwischen erfolgreich in der Heimat wieder angekommen, bleibt die
Frage: was hat sie wirklich verarbeitet, begriffen und auch „abgeschlossen“. So entsteht „ein packendes Drama um die Entscheidung zwischen persönlicher Freiheit und dem Drang nach gesellschaftlichem Aufstieg.
Basierend auf einer wahren Geschichte, erzählt sie in atmosphärisch dichten Bildern einen Werdegang voller Brüche, der aber auch exemplarisch für die Mitschuld durch Wegsehen und
Vorteilsnahme vieler in der Nazi-Zeit stehen kann. Mit einem Nachwort von Dr. Alexander Korb.“
In dem dieser „Irmina“ in einen weiteren Rahmen stellt und u.a. pointiert: „Zugleich zeigt Irminas Geschichte etwas auf, das sich
Historiker immer wieder vergegenwärtigen sollten: Menschen erleben die Wirren der Geschichte in erster Linie als ihren Alltag, sodass persönliche Zäsuren wie die erste Liebe, die Berufswahl, die Geburt eines Kindes oder ein Umzug biografisch bedeutender sein können als die großen historischen Ereignisse.“
Dieses Nachwort arbeitet für sich genommen das Geschehen dieser wahren Geschichte umfassend auf, ist so eine wichtige Ergänzung der Graphic Novel: Nach dem Ableben dieser oft sprachlosen
Generation bleibt angesichts der vielen Leerstellen der Erinnerung nur der Versuch einer Rekonstruktion. Vorliegender Comicroman leistet dazu einen Beitrag“ schließt der Direktor des Stanley Burton
Centre for Holocaust and Genocide Studies in Leicester.
Und „was macht die Kunst“? Kollegin Monika Schmitz-Emans meint: „Die Dialoge sind lakonisch und prägnant; auch abgezeichnete Schriftstücke bieten Anlass zum Nachdenken.
Zeichnungen und Bildregie sind auf durchdachte Weise dem Handlungsverlauf und der Thematik angepasst: So wirken die Figuren skizziert; die Unschärfe erscheint programmatisch, wo es um hypothetische Motive und konstruierte ‚Typen‘ geht. Grautöne dominieren über weite Strecken die visuelle Darstellung eines vielfach ‚farblos‘ verlaufenden Lebens, aber an prägnanten Stellen setzen
sich Farben durch: sehr schwache Frühlingsfarben in der Liebesgeschichte mit Howard, das Rot der NS-Fahnen in der Berliner Phase, ein zartes Meergrün auf Barbados.“
Fazit: Barbara Yelin gelingt grafisch wie erzählerisch eine Mitläufer-Studie im NS-Alltag zwischen Selbstbestimmung, Gehorsamsbereitschaft und Anpassung - trotz des schwierigen Themas empfehlenswert. Prädikat: Besonders wertvoll!
HPR
Hanspeter Reiter, Comicoskop-Redakteur von Beginn an,Jahrgang 1953, Münchner in Köln, Linguist und Werbewirt, Autor diverser Fachbücher und zahlreicher Fachartikel zu Marketing-Themen, Comic-Fan seit Kindesbeinen. Gleich nach dem Abitur noch zuzeiten eines ersten Studiums (VWL, Pädagogik) hat er 1974 eine Studie zum Lese-Verhalten von Gymnasiasten realisiert, Fokus: Comics. Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "Comixene" veröffentlicht. Eigentlich Berater und Trainer rund ums Marketing im Hauptberuf, findet er nun zu seinem frühen Interesse zurück und wird erneut Comics in den Fokus nehmen. Die kamen auch schon in einigen seiner Artikel fürs Verlagshandbuch „zu Wort“ (www.input-verlag.de). www.dialogprofi.de. Kümmert sich beim COMICOSKOP nicht zuletzt um Deutsche Comics, deren Geschichte, aktuelle Rezensionen und News, Graphic Novels.