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COMICOSKOP - Das deutsche, aber weltoffene E-Fachmagazin für Comic-Kultur * herausgegeben und gegründet von Martin Frenzel  /  COMICOSKOP-Chefredakteur: Martin Frenzel

COMICOSKOP-Dossier gegen das Vergessen:      50 Jahre Schindel-Schwinger (1975-2025) - eine überfällige Hommage: Westdeutsch, besonders wertvoll, einfach wunderbar

Geheimtipp made in Germany: Die Kultserie (Untertitel: Der Kampf um Flohheim) von Michael Ryba und Peter Schulz ist heute fast vergessen, gehört aber grafisch wie textlich zu den besten deutschsprachigen Comic-Eigengewächsen der westdeutschen Bonner Republik.

Ein notwendiges COMICOSKOP-Memorial zum 50jährigen runden Jubiläum von unserem COMICOSKOP-Redakteur Hanspeter Reiter.

Vor genau 50 Jahren kam eine der besten westdeutschen Comic-Eigenproduktionen zur Welt, heute zu Unrecht vergessen, die aber unter Kennern als absoluter Geheimtipp gilt: Die SCHINDEL-SCHWINGER - "Der Kampf um Flohheim". Eine kreative Schnaps-Idee von Michael Ryba (1947-2014, seit 1981 freischaffend tätig als Designer, Maler, Illustrator, Cartoonist, Autor und Dozent, der tragisch, viel zu früh durch einen schweren Verkehrsunfall aus dem Leben gerissen wurde) und Peter- Torsten Schulz, geb. 1944, Maler, Dichter, Fotograf, Buchautor, Betreiber des ATELIERS FÜR ANGEWANDTE KUNST in Mülheim an der Ruhr.

 Als eine „anarchische deutsche Comicreihe“ gelten die vier echten SCHWINDEL-SCHWINGER-Alben gerne, deren fünftes ohne Erlaubnis von Autor Schulz und Zeichner Ryba erschienen und deutlich schlechter von unbekannter Hand gezeichnet war. Für manchen Betrachter ist vor allem viel Blasphemisches in den wunderbaren, bis heute einzigartigen SCHWINDEL-SCHWINGER-Bänden zu entdecken, doch immer liebevoll präsentiert und letztlich die Kräfte von Himmel und Hölle einander näher bringend. Das 50jährige Jubiläum in diesem Jahr 2025 ist Grund genug, in diesem COMICOSKOP-Dossier Bilanz zu ziehen - über 50 Jahre SCHWINDEL-SCHWINGER.

Nachdem er die Welt erschaffen hat, gönnt sich der Schöpfer einen guten Whisk(e)y – und schläft prompt in einer Lehmkühle ein. Pech ist, dass ausgerechnet dort einige „Geschöpf-Prototypen“ eingelagert sind, Proben genannt, die nun durch des Schöpfers Atem zum Leben erweckt werden - darunter „Schindel-Schwinger“, seines Zeichens Drache mit blonden Haaren und Boxhandschuhen. Die Proben machen sich aus dem Staub und gründen eine Stadt namens "Flohheim". Besorgt um sein Ansehen, beauftragt Gott Petrus und Luzifer, die Entflohenen zurückzuholen. Welcher von beiden das schafft, der soll später über die Erde herrschen: So beginnt der also, der Kampf um Flohheim, verbindender Titel aller fünf Bände. Neben dem Held Schindel-Schwinger, dem mit großem Ego ausgestatteten Retter von Flohheim, ausgestattet mit starkem Ego, ist Bimmel-Beule zentrale Figur des Comics, der Bürgermeister, eine Kreuzung aus Walross und Elch. Da nach Abbruch der Reihe ein mögliches Ende noch fern ist, bleibt auch offen, ob der Wettstreit zwischen Petrus und Luzifer enden sollte wie bekannt: Petrus (resp. sein Nachfolger, der jeweilige Papst) als „Herrscher“ der Erde, Luzifer weiter als Boss der Unterwelt …

MICHAEL RYBA: geboren in Eutin in Schleswig- Holstein; Studium der Grafik und Malerei an der FH Muthesius, Kiel; Folkwanghochschule für bildende Künste, Essen (bei Prof. Schardt); Akademie der bildenden Künste, Düsseldorf (bei Joseph Beuys)Seit 1981 freischaffend tätig als Designer, Maler, Illustrator, Cartoonist, Autor und Dozent; 12 Buchveröffentlichungen in Deutschland, England, USA und Japan1981-96 Corporate Design für die ACADEMIA PRO MUNDO UNO (Ehrenpräsident: Lord Yehudi hin)Europaweit vertrieben:Puzzles, Posters, Cards aus dem Bereich satirische Grafik (Gesamtauflage Stand 2000: über 2,6 Millionen)Einzel-und Gruppenausstellungen u.a. in Kiel, Hamburg, Köln, Freiburg (Augustinermuseum), Düsseldorf, Hannover (Wilhelm Busch-Museum), Stuttgart, Rom, Paris und Rio de Janeiro (Goethe-Institut)1993 - 98 Kunst für Kinder: Im Rahmen der Tätigkeit als Elternbeiratsvorsitzender soziale Kunstwerke im Schulbereich:„Zebrastreifen Kappel” 1995,“Seilzirkus” 1996,“Steinschnecke” 19981996 Eintragung ins „Who is who in Germany” Seit 2000 Dozent für Grafik und Malerei in Freiburg i. Br.Seit 2007 war er Dozent an der Akademie für Kommunikation in Freiburg.Ausschnitt aus der ehemaligen Homepage von Michael Ryba (aus Internet Archive)Wikipedia über Michael Ryba.Michael Ryba ist am 5. Februar 2014 bei einem schweren Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Er wurde 66 Jahre alt.

PETER SCHULZ: Maler, Dichter, Fotograf, Buchautor und wohlbekannter Erfinder des OLLEN HANSEN, nennt sich selbst ein „Universalbemüh”:Zwei Dinge hat er von jeher unter einen Hut bringen wollen: für sich ein buntes Leben und für sein Publikum eine lebendige Kunst.1944 geboren in der jetzigen Slowakei (Taufe im Bunker), aufgewachsen im schönsten Dorf der Lüneburger Heide („als giftiger Glückspilz”) und in den Trümmern von Essen (Steine kloppen, „Schore” machen), wohnt er heute „op het platte Land” im holländischen Friesland („Nacht, Mattjes!”), wo sein HANSENHAUS steht, und am Stadtrand von Mülheim a. d. Ruhr, wo er mit Freunden sein ATELIER FÜR ANGEWANDTE KUNST betreibt."VITAMINE FÜR DIE SEELE" wurde nach einer begeisterten Presse in den 70er und 80er Jahren zum erklärten Ziel seiner Arbeit. So entstanden nach seinen BILDERBÜCHERN AUS HANSENS HAUS, in denen er einem Millionen-Publikum sein „fabelhaftes” Leben erzählte, immer neue WETTERFESTE FREUNDE (Skulpturen, Spiele, Alltagskunst), die er für seine Liebhaber und Sammler auf ungezählten Ausstellungen, Signier-Aktionen und Malreisen „aufs Ollste” in Szene setzte.Das von ihm ins Leben gerufene „Hansensche Lebensgefühl” (Humor haben, Poesie sehen, Phantasie wahr machen und Natürlichkeit als eine hohe Kunst pflegen) läßt keinen mehr los, der es einmal für sich entdeckt hat: „Du willst, du kannst, du mußt – am besten, du hast Lust!” Der Künstler:„Mein Leben,das ist ein Bild,an dem ich male.Leute, die kommen,gucken sich gerne die fertige Hälfte an. –Ich sehe mehr die kahleund bin von der Idee besessen,hier nichts Schönes zu vergessen.”PETER-TORSTEN SCHULZ publizierte seit 1967 4 Lyrik-Bände, 4 Comic-Alben, 40 Titel und über 125 Kalender „aus Hansens Haus”. Gesamtauflage 3 Millionen. Dazu Vertonungen, Verfilmungen, Kolumnen, Editionen und Konzepte. Preise und Auszeichnungen. 50 Ausstellungen, 80 Tourneestädte.

Die beiden obigen Biografien des Autorenduos Ryba/Schulz sind von der folgenden Homepage: schindel-schwinger.flohheim.de/index.html

Schindel-Schwinger traf offenbar den Zug der Zeit, fand seine Leserschaft Mitte der 1970er Jahre. Doch beim Erscheinen des illegalen fünften Bands 1977 war „das Tischtuch bereits zerschnitten“, zwischen dem Autoren-Duo und dem herausgebenden Verlag ILLUPress: „Als Autoren wurden weiterhin Peter Schulz und Michael Ryba angegeben. Die Produktion erfolgte durch das Studio Mondadori in Italien unter Copyright-Verletzung ohne Beteiligung der beiden Autoren und Rechteinhaber. Nach dem vierten Band gab es Streitigkeiten. Der Verlag forderte ein kindgerechteres und weniger komplexes Szenario und wollte das Script nicht mehr von Peter Schulz schreiben lassen.

Ein neuer Vertrag kam nicht zustande, so dass der Verlag ohne Wissen von Ryba und Schulz dieses Album produzieren und vertrieben ließ. Eine Fortführung seitens des Verlages konnte rechtlich unterbunden werden, so dass das als Band 6 mit dem Titel "Schindel-Schwinger schnappt die Agenten" angekündigte Album nicht mehr erschienen ist.“ (http://www.comics.org/issue/839281/) Schade eigentlich: Gilt die Serie unter Intellektuellen auch der Jetzt-Zeit doch als Geheim-Tipp, wobei sie unterschiedlich gut verfügbar sind, wie die Preise des jeweiligen Albums im Zweitmarkt zeigen... Eine Neuauflage aller Michael Ryba-SCHWINDEL-SCHWINGER-Alben wäre längst überfällig, gerne mit redaktionellem Teil und Porträts über das Autoren-Duo. Merke: Wer die SCHINDEL-SCHWINGER nicht kennt, ist selber schuld, hat wirklich etwas verpasst, in diesem Leben!

 

HPR

Ein SCHINDEL-SCHWINGER-Essay zum 50jährigen Jubiläum: Höchst gelungen, höchst amüsant!

Von Dr. rer. soz. Regina Mahlmann

Vor zwei Tagen erhielt ich zu meiner Freude aus Sammlerbeständen die Bände 3 und 4: „Schindel-Schwinger zwickt die Hexen“ und „Schindelschwinger stoppt den Ölexpress.“ Neben vielem Schmunzeln und Freude an Zeichnung, Text und Episoden durchaus etwas Verwunderung: Insgesamt dominieren nun eher dunkle Farben; die Vielfalt und rollenspezifischen Handlungen der nach wie vor voller Zuwendung und Sorgfalt gezeichneten Charaktere glimmt nur durch – zugunsten von Schindelschwinger und dem Nicht-Teufelchen Teufelchen Saulus, der unbedingt ein Flohheimer werden möchte. Die selbstredend dennoch amüsante Lektüre lässt Freiraum für Entdeckungen, die sich in der mentalen Wolke, in Philosophie, in Haltung (neudeutsch „mindset“) sowie in der Art deren Erscheinung der Autoren/Illustratoren Michael Ryba und Peter-Torsten Schulz verbergen und hochgradig vergnüglich übersetzt werden, zeichnerisch, szenisch, textlich (nonverbal, verbal), geschehenbezogen.

Aufgrund des Titelnamens und der Hervorhebung der Figur Schindelschwinger könnte man meinen, Schindelschwinger sei der (alleinige) Held im Sinn von bestmöglicher Bewährung, von Erfolg und ruhmhafter Taten. Dass dem keinesfalls so ist, sondern das Heldentum verteilt ist auf alle Flohheimer, zeigen die beiden Bände sehr schön – gerade weil die beiden im Geschehen eher im Hintergrund agieren, vor allem im „Ölexpress“.

Erfolg bis Heldentum des sympathischen, tolpatschigen, gutmütigen und naiv-mutigen Großmauls Schindelschwinger braucht die anderen Flohheimer, um als „der größte“ zu erscheinen. Und die psychologisieren und moralisieren nicht, wollen ihn nicht belehren, verzichten darauf, ihn zurechtzuweisen: Sie mögen ihn, wie er ist – und in seiner soziodynamischen Rolle das Proben-Volk. Sie stellen sich nicht nur nicht über ihn, sondern unterstützen ihn im Hintergrund, also so, dass er es nicht bemerkt.

Dass sie auf diese Weise seine Größenfantasie nähren – egal und amüsant, sogar wünschenswert, weil Schindel-Schwinger als Schindelschwinger geliebt und gebraucht wird. Herrlich wohltuend, diese Amoralität und Psychoabstinenz, zumal beides aufs Sympathische zeigt, dass Wertschätzung nicht in Weichspülung von Wort und Handlung lebt, sondern in der praktischen Anerkennung rollen-, figuren-, charakterspezifischer Eigenheiten in der und für die Gruppe, für sozialen Frieden und Freude, für Zusammenhalt: Den Flohheimern gebührt Dank.

Wer zudem den Eindruck hat, dem Comic liege ein manichäisches Weltbild von Gut und Böse zugrunde, liegt falsch. Denn bereits in der sprechenden und handelnden (auch tretenden und fluchenden) Figur des Petrus vereinigen sich Facetten beider Welten – und wie dies sprachlich transportiert - kaschiert oder auch verbrämt - wird, ist wiederum meisterlich gelungen. Diese Überblendung finden die Leser in sämtlichen Charakteren der Burg und des Vulkans. Eine Fundgrube neben Zeichnung und Sprachverwendung sind die Handlungen, denen neben List, Tücke und action-reichen Aktionen ebenfalls zu eigen ist, dass – zugespitzt formuliert – gleiches bzw. ähnliches Handeln zwar höllisch bzw. himmlisch verbal verkleidet ist, doch zu Zusammentreffen führt, die bei aller scheinbaren Gewalt die Tölpelhaftigkeit auf beiden Seiten in den Vordergrund schiebt und damit das vermeintlich Gewalttätige entschärft und ebenfalls das Sowohl-als-auch, die Nichtklarheit von Gut und Böse, das Überlappen beider Welten erlebbar macht.

Und wer sich im konzeptionellen Umfeld von (auch sprachlichem) Konstruktivismus bewegt, findet immer wieder kontextuell gefärbten Sprachgebrauch: die gleiche Botschaft in unterschiedlichen, vom Milieu (Herkunft: Himmel - Hölle, Burg – Vulkan) gefärbten Vokabular, das Worte wie auch alles Nonverbales erfasst. Höchst gelungen und höchst amüsant!
Dr. rer. Soz. Regina Mahlmann


Dr. rer. soc., MA phil. Regina Mahlmann, Jg. 1959,  unterstützt und begleitet Unternehmen in Veränderungsprozessen in Form von Prozessberatung, Coaching on- und off-the-job, lösungsorientierten Workshops, Moderation und Vorträgen im Dreieck CH-D-A. Themenschwerpunkte sind Persönlichkeitsarbeit, Führung und Zusammenarbeit, Unternehmenskultur, Konfliktmanagement und Teamentwicklung. Als Autorin zahlreicher Artikel und Bücher berät sie bei der Erstellung von Vorträgen, Artikeln und Büchern.

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